Engagierter Visionär
- Updated: August 15, 2011
Gemessen an seinen Erfolgen müsste Holger Nikelis eigentlich zu den bekanntesten Sportlern gehören. Als Querschnittsgelähmter steht der Kölner Tischtennisspieler aber weniger im Blickpunkt als Athleten ohne Behinderung.
Bis 1995 ist Holger Nikelis ein Jugendlicher wie jeder andere auch. Dann ereignet sich im Sommerurlaub in Spanien der Unfall, der das Leben des damals 17-Jährigen einschneidend verändert.
„Ich bin ins Meer gelaufen, wie man das halt so macht“, erinnert er sich, „irgendwann war der Widerstand der Wellen zu groß, so dass ich gesprungen bin.“ Dabei prallt er unglücklich mit dem Kopf auf den Grund. Die schockierende Diagnose: Bruch des sechsten Halswirbels, Querschnittslähmung.
Umgehend wird er zuerst nach Köln zurückgeflogen, nach zwei oder drei Tagen, hier fehlt ihm die genaue Erinnerung, verlegen ihn die Ärzte ins Bochumer Krankenhaus Bergmannsheil zur Rehabilitation. Erst hier folgt das erste längere Gespräch mit Ärzten, in dem Nikelis erfährt, dass er für den Rest seines Lebens auf einen Rollstuhl angewiesen sein wird.
Ein Schlüsselerlebnis
Sein persönliches Schicksal erzählt der inzwischen 33-Jährige heute ohne Gram. Ohnehin hat ihn sein Lebensmut nie verlassen. „Ich habe recht schnell erkannt, dass ich trotz der Behinderung immer noch ein lebenswertes Leben führen kann. Und letztendlich tue ich das. Ich denke, dass ich die Möglichkeiten, die ich heute habe, ohne meine Behinderung gar nicht gehabt hätte.“
Aufgeben kam für ihn nie in Frage. „Hin und wieder mal einen Hänger“, ja, aber danach gleich wieder nach vorne schauen. So zieht er die Reha-Maßnahmen durch und kehrt nach einem halben Jahr an seine alte Schule, das Maximilian-Kolbe-Gymnasium in Porz zurück, wo er 1997 sein Abitur mit einem Notenschnitt von 2,4 besteht.
Der Sport, besonders der Tischtennissport, den Holger Nikelis vor seinem Unfall bereits auf Bezirksliga-Niveau betrieben hat, spielt in diesen Monaten nur eine untergeordnete Rolle. Lernen und Nacharbeiten des verpassten Stoffs nimmt zu viel Zeit in Anspruch. Ganz anders in der Reha. Im Bergmannsheil ist Sport elementarer Bestandteil der Behandlung.
Besuch von Ralf Kirchhoff
Der Aufenthalt dort sollte sich noch in anderer Hinsicht als prägend erweisen. In der Klinik ist es üblich, dass die Patienten Besuch von Menschen erhalten, die ein ähnliches Schicksal erlitten und es überwunden haben. Sie sollen den Betroffenen Vorbilder sein. Holger Nikelis erhält Besuch von dem behinderten Tischtennisspieler Ralf Kirchhoff, zweifacher Paralympics-Medaillengewinner in Barcelona 1992. Ein Schlüsselerlebnis.
Kirchhoff, der sportlich erfolgreich ist, selbstständig lebt und ein Familienleben führt, nimmt den 17-Jährigen zur Seite, führt Gespräche – und spielt mit ihm Tischtennis. Das Talent des Jungen bleibt ihm nicht verborgen. Und so zeigt er ihm die Möglichkeiten auf, die sich ihm im Behindertensport bieten. „Die Teilnahme an den Paralympics hat er mir damals schon zugetraut“, sagt Nikelis, „und auch mit dem entsprechenden Training dort oben mitzuspielen. Aber das hab ich zunächst nicht geglaubt.“
Sportliche Erfolge stellen sich ein
Nach dem Abitur beginnt er beim Rollstuhl-Sportclub Köln wieder mit dem Tischtennisspielen. 2001 gewinnt er seinen ersten von inzwischen sieben Deutschen Meistertiteln und reist im Sommer 2004 als amtierender Europameister zu seinen ersten Paralympics nach Athen. Sechs Jahre sind seit der folgenreichen Begegnung mit Ralf Kirchhoff vergangen als Holger Nikelis Gold im Einzel und Bronze mit der Mannschaft gewinnt. In der Weltspitze angekommen, lassen weitere Erfolge, darunter zwei Weltmeistertitel, nicht lange auf sich warten.
Neben Training und Wettkämpfen arbeitet Holger Nikelis mit viel Ehrgeiz an seinem großen Traum, seinen Sport mit Hilfe von Partnern und Sponsoren künftig professionalisieren zu können. „Ich bin Visionär und hoffe, dass eines Tages Behindertensportler von ihrem Sport leben können. Die dafür notwendige Professionalisierung des Behindertensports möchte ich mit vorantreiben“, sagt Nikelis.
Pläne für die Zeit danach
Parallel feilt Kölns Sportler des Jahres 2010 an der Karriere nach der Karriere, die – wie könnte es anders sein – eng mit dem (Behinderten-) Sport verbunden sein wird. Mit seiner Freundin Swetlana bereitet er im Augenblick den Aufbau der gemeinsamen Event-Agentur „alliro“ vor. In deren Konzept fällt der Barrierefreiheit eine wichtige Rolle zu.
Ist die auf einem Event nicht gegeben, kann das für einen Rollstuhlfahrer sehr frustrierend sein, wie Nikelis aus eigener Erfahrung weiß: „Manchmal werde ich zu Veranstaltungen eingeladen, bei denen es nur Stehtische gibt. Das sind Kleinigkeiten, die aber letztlich viel ausmachen.“ Mit seiner Agentur möchte er ein Beratungsangebot für Veranstalter aufbauen, das für solche und ähnliche Fälle sensibilisiert. So leistet er einen Beitrag für eine Gesellschaft, die behinderte Menschen mit ihren Bedürfnissen von Anfang an einschließt.
Bevor die zweite Karriere so richtig startet, will er aber noch den einen oder anderen Erfolg auf sportlicher Bühne feiern. 2012 bei den Paralympics in London etwa. Dort möchte er sich den Traum vom zweiten Gold erfüllen. Und wenn es da nicht klappt, „ist Rio 2016 sicher auch noch im Bereich des Möglichen“, lacht Nikelis. Am notwendigen Ehrgeiz wird es ihm sicherlich nicht mangeln.