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Köln.Sport

„10 Niederlagen sind zu viel“

Colin Bell zieht ein überwiegend positives Fazit seiner ersten Saison als Cheftrainer beim SC 07 Bad Neuenahr

Es ist schon später Nachmittag und mir gegenüber sitzt ein Brite, der zumindest ein Klischee über diesen Menschenschlag bestätigt. Er hat eine große Tasse Tee vor sich stehen und garniert diesen nun mit Milch und reichlich Zucker. Colin Bell leitet seit einem Jahr als Cheftrainer die sportlichen Geschicke des Frauenfußballbundesligisten SC 07 Bad Neuenahr und blickt im Gespräch auf die Saison 2011/12 zurück. Colin, vor der Saison saßen wir zusammen und oft fiel der Begriff 100%. Wie viel dieser Wunschzahl hat Deine Mannschaft erreicht?
Colin Bell: Das ist schwer in Zahlen auszudrücken, aber es hat eine Entwicklung stattgefunden. Als bestes Beispiel kann man die Devise nehmen niemals aufzugeben. Wenn das Team vorher 0:1 zurücklag endete dies fast immer in einer klaren Niederlage, vor allem gegen die großen Vier. Diese Saison war das anders, denn kein Spiel wurde höher als mit zwei Toren Unterschied verloren. Natürlich haben wir noch richtig Luft nach oben, deshalb würde ich uns bei 70 % einschätzen. Was aber nicht heißt, dass die Mädels immer nur 70 % gegeben haben. Der Einsatz war immer bei 100 %.

Werfen wir einmal einen Blick in die kommende Spielzeit. Wie definierst Du deine Ziele?
Das Hauptmanko war ja unsere Chancenverwertung. Nutzen wir nur einen Bruchteil der klaren Tormöglichkeiten, stehen wir in der Abschlusstabelle gut und gerne zwei Plätze höher. Auch 10 Niederlagen sind einfach zu viel. Dem gegenüber stehen aber auch 11 Partien die zu Null endeten, also genau die Hälfte. Das wiederum ist unserer Kompaktheit geschuldet, an der wir trotzdem weiter arbeiten müssen. Wenn wir es schaffen uns in allen Mannschaftsteilen punktuell zu verstärken, dann wird es noch schwerer uns zu schlagen.“

Kommen wir zu Dir. Auf der einen Seite bist Du ein praktizierender und gläubiger Christ. Andererseits hat man Dich gerade zu Beginn der Saison als „Vulkan“ erlebt. Wie kann man diese Gegensätze verstehen?
(lacht) Du meinst das Spiel gegen Essen und die Pressekonferenz nach dem Bayern Spiel. Nun, Fußball ist ein Emotionssport und ich auch ein impulsiver Mensch. Aber auch ich muss da an mir arbeiten. Dabei hilft mir der Glaube, denn auch Gott arbeitet an mir. Aber nicht nur er. Nach dem Essen Spiel hat mich ein eng befreundeter Profitrainer aus dem Männerbereich zur Brust genommen. Das alles hat mir sehr geholfen. Was das Bayern Spiel betrifft, so habe ich einigen vor den Kopf gestoßen. Da bin ich dem Verein sehr dankbar für die besonnene Reaktion. Es hat sich aber auch einiges bewegt seit diesem Tag.“

Wieder zum Fußball. Wie groß ist das Potential im Frauenfußball allgemein?
Es ist noch viel Luft nach oben vorhanden, vor allem im technischen, taktischen und physischen Bereich. Aber genau da liegt der Reiz. Wenn Du im Männerbereich Fortschritte erkennst bewegen diese sich im Millimeterbereich. Bei den Frauen sind das Meter und man sieht sofort Dinge die man sehen wollte. Wir wollen ausbilden und dafür brauchen wir einen langen Atem. Schau Dir Jürgen Klopp in Dortmund an, die spielen einen atemberaubenden Fußball. Aber der Entwicklungsprozess hat vorher zwei Jahre gedauert. Wenn es uns gelingt die Passsicherheit der Japanerinnen und die Physis des US Teams zu erreichen, sind wir auf einem guten Weg. Wohlgemerkt sollte das ein Ziel der kompletten Liga sein.

Apropos Liga. Zwei Vereine nehmen zur Zeit richtig Geld in die Hand. Wie gefährlich ist das für das Produkt Frauenfußball in Deutschland? Geht die Schere hier immer weiter auseinander?
Natürlich ist das gefährlich, aber mal ehrlich. Wer würde nicht so handeln, wenn einem die entsprechenden Mittel gegeben werden. Ralf Kellermann macht das in Wolfsburg ja auch schon seit einiger Zeit systematisch. Er verstärkt sein Team auf genau den richtigen Positionen. Die Vereine mit weniger Mitteln können nur mit systematischer Ausbildung und taktischer Schulung versuchen mitzuhalten. Kein Zuschauer möchte sich die Langeweile antun, wenn nur zwei Mannschaften die Titel unter sich ausmachen. Deshalb ist es besonders reizvoll dagegen anzukämpfen.

Wenn Du zurückblickst, wer waren die positiven Überraschungen in der Mannschaft des SC 07?
Zunächst die Tatsache, dass die Mannschaft, von der 1 bis zur 11, es geschafft hat die taktische Disziplin auf Dauer zu halten. Wenn ich jetzt einzelne Spielerinnen sehe, so hat jede ihre Fortschritte gemacht. Besonders gefreut hat mich Nadine Rolser, die für uns auf der Sechser Position sehr wichtig geworden ist. Natürlich unsere Abwehr mit Laura Störzel, Leonie Maier und Peggy Kuznik, die zu einer Bank geworden sind. Celia hat sich sportlich und in der Persönlichkeit enorm entwickelt und auch Sara Doorsoun-Khajeh hat einen Sprung gemacht. Nicht zu vergessen Almuth Schult, die aus der 2. Liga kommend zur Nummer 1 in Deutschland geworden ist. Und das obwohl ihr mit Kathrin Längert und Desiree Schumann enorme Konkurrenz im Nacken sitzt. Für die Verletzung von Nadine Angerer kann ja schließlich keiner was.

Die Schlussfrage: Wie hast Du die Unterstützung des Publikums empfunden?
Von Beginn an hatte ich das Gefühl eine breite Wand im Rücken zu haben. Und plötzlich kamen die Auswärtsspiele in Leverkusen, Leipzig, München oder Hamburg, wo sich Leute bei Wind und Wetter auf den Weg gemacht hatten. Da bekommst Du eine Gänsehaut. Und auch zu Hause wurde es immer lauter, was der Mannschaft sehr hilft. Wir haben den Mädels immer wieder gesagt, die Leute sind nicht wegen dem Trainerteam hier, sondern wegen euch. Das hat noch einmal einige Prozent herausgekitzelt. Ich habe es ja schon öfter gesagt, trotzdem noch einmal ein großes Dankeschön an unsere Fans. Ihr seid klasse, weiter so.