Zwischen Rocky Balboa und Gott
Der Kölner Boxer Jerry Elliott hat in seinem Leben Höhen und Tiefen mitgemacht. Wir erzählen seine bewegende Geschichte.
Das Klischee vom Boxer aus einfachen Verhältnissen, der sich sprichwörtlich von ganz unten „hochboxen“ musste, ist schon oft bedient worden. Die wohl bekannteste Version lieferte Hollywood mit der Geschichte des jungen Rocky Balboa, der sich aus den Hinterhöfen Philadelphias zu Ruhm und Ehre boxte. Die Rolle des „Italian Stallion“ war es, die Sylvester Stallone in den 1970er Jahren zum Star machte. Ein solcher ist Jerry Elliott wahrlich nicht – und will er auch gar nicht sein! Potenzial für eine Verfilmung hätte die Lebensgeschichte des Wahl-Kölners aber allemal.
Steile Karriere – rasanter Absturz
Ohne Ausweis und mit 140 Mark Bargeld in der Tasche kam der gebürtige Nigerianer im Jahr 1996 nach Deutschland. Über Ägypten, die Türkei, Griechenland, Italien und Belgien führte Elliotts Weg schließlich nach Köln, wo er zunächst zwei Wochen unter einer Brücke lebte, anschließend auf einem Flüchtlingsschiff auf dem Rhein. „Ich habe mich jede Nacht übergeben, weil ich seekrank war“, erinnert sich Elliott, dessen große Liebe schon in jungen Jahren ausschließlich dem Boxsport galt. In einem Studio in der Moltkestraße ließ man den Supermittelgewichtler trotz fehlender Aufenthaltsgenehmigung im Keller trainieren.
Bis eines Tages die Brüder Torsten und Rüdiger May sein Talent erkannten und Elliott über Umwege einen Vertrag beim renommierten Boxstall Sauerland erhielt. Fast hätte eine schwere Knieverletzung seinen Traum zerstört. Doch nur sieben Tage nach der OP stieg er in den Ring und gewann trotz starker Schmerzen seinen ersten Kampf. „Das war die Chance, auf die ich immer gewartet hatte. Ich musste dieses Risiko eingehen.“
Acht Jahre lang war Jerry Elliott Profiboxer, schaffte es bis auf Platz fünf der Weltrangliste, hatte keine Sorgen. Dann der Schock: Ärzte diagnostizierten einen zu dicken Herzmuskel, rieten ihm zum Karriereende. „Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt der heute 38-Jährige, der von jetzt auf gleich alles verlor: Die mediale Aufmerksamkeit, seinen Vertrag und sogar die Aufenthaltserlaubnis.
„Keiner hat sich mehr für mich interessiert.“ Besuch bekam er nur noch von Inkasso-Unternehmen, die teure Uhren, den Fernseher und sogar das Auto mitnahmen. „Ich wollte meine Wohnung nicht mehr verlassen, war total am Ende“, erinnert sich Elliott. Geholfen habe ihm in dieser schweren Zeit vor allem sein Glaube. Täglich las er in der Bibel. Nach drei Jahren fasste er neuen Mut, begann wieder mit dem Training und fand schließlich seine Bestimmung.
Soziales Engagement als Lebensaufgabe
In einem Kölner Boxstudio lernte er einen Jungen kennen, der sich das dortige Training nicht leisten konnte. Elliott wollte helfen, wurde Boxtrainer, nahm aber kein Geld, damit die Kinder bei ihm umsonst trainieren konnten. Es kamen immer mehr Kinder und Jugendliche, sodass er im Jahr 2004 ein eigenes Studio anmietete und schließlich das Multicultural Project for Kids (MCP) gründete. Über die Jahre hat Jerry Elliott viele Kontakte geknüpft, von denen der Verein profitiert. In Nippes ist der Ausbau eines eigenen Studios mitsamt einem Raum für Hausaufgabenbetreuung geplant.
Auch am Barbarossaplatz entsteht ein Boxstudio, in dessen Räumlichkeiten Kinder und Jugendliche aus der Innenstadt kostenfrei trainieren können. „Deutschland ist so reich. Trotzdem gibt es viele Kinder, denen es sehr schlecht geht. Ich will ihnen eine Chance bieten und ihr Leben durch das Boxen in die richtige Richtung lenken“, sagt der Ex-Profi. Für sein Engagement wurde er schon oft ausgezeichnet. Jedes Jahr bekomme er Urkunden. „Beim letzten Mal habe ich dem Bürgermeister gesagt, ich brauche das nicht. Ich brauche Mittel, um die Kinder von der Straße zu holen.“
Zusätzlich zur Vereinsarbeit besucht der „Alpenkönig“, wie Elliott in seiner aktiven Zeit aufgrund seiner Freundschaft zu dem Österreicher Hans Pusch, damals Medienforscher beim Fernsehsender RTL, genannt wurde, einmal pro Woche eine Klinik für drogenabhängige Jugendliche in Hürth und treibt mit ihnen Sport. „Sie freuen sich sehr, wenn ich komme. Leider kann ich nicht jedem helfen, den richtigen Weg zu finden“, sagt Elliott und erweckt dabei den Eindruck, als mache er sich Vorwürfe. „Ich will noch mehr tun, mehr Kindern den Anstoß für ein neues Leben geben.“
Sein größter Traum war einmal eine Karriere als Profiboxer. „Heute wünsche ich mir, dass wir mit MCP in ein paar Jahren bundesweit agieren können.“ Ein Ziel, das Jerry Elliott eisern verfolgt – und für das er auch sein eigenes Leben umgekrempelt hat: „Ich bin nicht reich und brauche keinen Luxus. Ich freue mich einfach, wenn ich helfen kann.“
Stefan Kühlborn