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Köln.Sport

Zeit für neue Helden

Nach einer turbulenten Saison, die mit dem Klassenerhalt jedoch erfolgreich endete, steht der 1. FC Köln in der neuen Spielzeit vor noch größeren Herausforderungen. Ist das Team von Markus Gisdol gut genug, diese zu bewältigen?

Ismail Jakobs gehörte mit 20 absolvierten Partien 2019/20 zu den FC-Senkrechtstartern! (Foto: imago images / Norbert Schmidt)

Wir schreiben den 6. August 2017. Auf den Stadionvorwiesen haben sich wieder mal über 50.000 FC-Verrückte versammelt, um den Start in die Spielzeit 2017/18 zu zelebrieren. Unter dem Motto „Mer danze üvverall – eine Saison voller Festtage“ wird die erste Europa-Spielzeit seit 25 Jahren eingeläutet. Dass es im Anschluss nicht viel zu feiern gibt und am Saisonende der sechste Abstieg der Vereinsgeschichte steht, schlägt sich im folgenden Jahr dann Motto-technisch nieder. Mit dem Slogan „Mir sin eins“ wird Zusammenhalt beschworen, es gemeinsam wieder in die Beletage des deutschen Fußballs zu schaffen, dorthin, wo der Effzeh dem Eigenverständnis sowieso hingehört.

Als das gelang, lautete der Slogan vor der Spielzeit 2019/20 „Gemeinsam in die Bundesliga“ – eine Mission, die mit dem Klassenerhalt in der vergangenen, äußerst turbulenten Saison erfolgreich beendet wurde.

Auf jugendlicher Mission

So hätte man den Slogan für die Spielzeit 2020/21 mit Sicherheit gerne erneut vor mehr als 50.000 euphorischen Anhängern verkündet – Corona-bedingt ist dieser Plan jedoch ins Wasser gefallen. Passende Mottos gäbe es dennoch zur Genüge. Ein passendes beispielsweise wäre „Jugend forscht“. Mit Ismail Jakobs (21), Noah Katterbach (19) und mit Abstrichen Jan Thielmann (18) schafften es 2019/20 gleich drei Eigengewächse zu Stamm- oder zumindest wichtigen Rotationsspielern.

In diesem Sommer machten Trainer Markus Gisdol und Sportchef Horst Heldt aus der (finanziellen) Not eine Tugend und gaben einer ganzen Reihe vielversprechender Youngster die Chance, sich bei den Profis zu beweisen. So fuhren mit Robert Voloder (19), Sava Cestic (19), Jens Castrop (17, alle Abwehr) und Tim Lemperle (18, Angriff) mit ins August-Trainingslager in Donaueschingen, andere

Jungspunde wie Marvin Obuz (18) oder der erst 15-jährige Justin Diehl (beide Angriff) schnuppern bereits am Profikader, in dem bislang aber nur Voloder und Lemperle geführt werden.

„In der letzten Saison hat man gesehen, dass Markus Gisdol auf junge Spieler setzt. Deshalb sehe ich hier meine Chance, den Sprung in die Bundesliga zu schaffen“, erklärt beispielsweise Castrop und bestätigt damit den „neuen Weg“, den der Effzeh unter seinem jüngst bis 2023 verlängerten Trainer gehen will. Horst Heldt schlägt in dieselbe Kerbe. „Markus und ich haben sofort festgestellt, dass wir unfassbar gutes Potenzial im Nachwuchsbereich vorfinden. Wir haben es geschafft, eine enge Verzahnung herzustellen. Mit Markus Gisdol haben wir zudem einen Trainer, der ein Befürworter davon ist, junge Menschen einzusetzen, wenn sie nach dem Leistungsprinzip auch Leistung bringen. Das muss ein wesentlicher Bestandteil der Strategie des 1. FC Köln sein“, so der Sportchef.

Zweifel am „Überleben“

Die neue Identität scheint gefunden; an einer Strategie, mit der man über Jahre wieder konstant erfolgreich sein kann, wird gearbeitet – allerdings ist der Blick in die unmittelbare Zukunft mindestens genauso wichtig. Denn nur wenn es der Effzeh schafft, sich über einige Jahre in der Bundesliga zu etablieren, ist das systematische Einbauen von Jugendspielern möglich. Verkommt man erneut zur Fahrstuhlmannschaft, dürften sich auch die kölschen Top-Talente bald nach anderen Adressen umsehen. Und so könnte ein weiteres Motto der neuen Spielzeit auch „Suche nach Konstanz“ lauten.

Diese Suche beschäftigt den Effzeh schon lange, kostet ihn immer wieder ordentlich Geld. So war nach Achim Beierlorzers Entlassung etwa eine Million Euro an Abfindung fällig, die ehemaligen Geschäftsführer Armin Veh und Jörg Schmadtke verließen das Geißbockheim ebenfalls nicht mit leeren Händen. Dass der Effzeh den Kontrakt mit Gisdol bis 2023 verlängert hat, zeigt, dass ihm Geschäftsführer Horst Heldt (ebenfalls bis 2023 vertraglich an die Kölner gebunden) den Schritt zur Konstanz zutraut. Die schon länger bekannte und vor kurzer Zeit perfekt gemachte Verlängerung hat sich Gisdol mit seiner Rettungsmission auch redlich verdient. Dennoch gibt es nicht wenige Fans, die am sportlichen „Über leben“ des Coaches in der nächsten Saison zweifeln. Bei einer neuerlichen Entlassung würde der Effzeh wieder ein Stück weit bei null anfangen. Zudem ist nicht garantiert, dass sein eventueller Nachfolger ebenso wie er auf die Jugend setzt, was den öffentlich eingeschlagenen Weg gefährden dürfte.

Längst überfälliger Schritt

Zunächst jedoch haben sich Gisdol und sein Trainerteam einen Vertrauensvorschuss erarbeitet, um mit dem mittlerweile mehr auf sein System zugeschnittenen Team einen erfolgreichen Saisonstart hinzulegen. Das Startprogramm sieht mit Hoffenheim (H), Aufsteiger Bielefeld (A), Rivale Borussia Mönchengladbach (H), EL-Kandidat Eintracht Frankfurt (A) und BL-Rückkehrer VfB Stuttgart (H) zumindest auf dem Papier schon mal deutlich leichter aus als im Vorjahr, als der Effzeh zu Saisonbeginn gegen fast alle späteren Europapokalteilnehmer ranmusste.

Rollt zum ersten Spieltag am 19. September gegen Hoffenheim der Ball, werden jedoch weder die jungen Spieler noch der Spielplan im Blickfeld stehen, sondern vor allem die arrivierten Kräfte am Geißbockheim. Timo Horn, Jonas Hector, Dominick Drexler – sie alle müssen zeigen, dass die teils erschreckenden Auftritte nach Wiederaufnahme des Spielbetriebs, als der Effzeh kein Bundesligaspiel mehr gewinnen konnte und sich bei Fast-Absteiger Werder Bremen zum Saisonabschluss mit 1:6 bis auf die Knochen blamierte, mehr Ausnahme als Regel waren. Auch letztjährige Neuzugänge wie Ellyes Skhiri oder Kingsley Ehizibue bauten merklich ab. Sie müssen nun beweisen, dass sie auch in Stresssituationen – und die werden reichlich kommen – resistent sind und ihren Beitrag zu einem erfolgreichen Abschneiden der Geißbock-Elf leisten können.

Personell vollzog man ohnehin einen wichtigen (und wohl auch längst überfälligen) Schritt: Langjährige „Haudegen“ wie Marcel Risse oder Simon Terodde durften sich einen neuen Verein suchen, FC-Urgestein Marco Höger dürfte nur wenig Chance auf konstante Spielzeit haben, Kult-Keeper Thomas Kessler ging in den Ruhestand. So scheint es, als würden die Verantwortlichen im Gegensatz zur Vergangenheit weniger auf den ohnehin keinen Erfolg garantierenden „Köln-Faktor“, sondern auf das Leistungsprinzip setzen – was einem selbst beweihräuchernden Verein wie dem 1. FC Köln nur gut tun kann. „Zeit für neue Helden“ wäre somit ebenfalls ein passendes Motto für die neue Bundesligasaison.