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Köln.Sport

Westers Flug in ungeahnte Weiten

Sichtlich bewegt ist Alexandra Wester nach dem Rekordsprung von Berlin

„Es wird sicher noch ein paar Tage dauern, bis ich das alles realisiert habe“, sagt Alexandra Wester nach ihrem Höhenflug von Berlin.
Foto: IMAGO/Matthias Koch

Seit November beim ASV Köln ist Alexandra Wester aktuell der Shooting-Star der deutschen Leichtathletik. Die sympathische Weitspringerin nimmt an der Hallen-WM im März teil und hat Olympia in Rio im Visier. Und das alles dank einer Trainingsumstellung nach einer schweren Verletzung. 

Es gab nicht wenige in den Reihen des ASV Köln, die im November des Jahres 2015 ein wenig ungläubig dreinschauten, angesichts der forschen Töne, die der jüngste Neuzugang des Leichtathletik-Teams anschlug: Da kam eine 21 Jahre alte Weitspringerin und nannte als kurzfristiges Ziel die Qualifikation für die Hallenweltmeisterschaft 2016 in Portland (USA). „Ich habe mir das von Anfang an zugetraut“, sagt Alexandra Wester knapp drei Monate später nicht minder selbstbewusst. Der Wechsel vom USC Mainz in die Domstadt war für die in Gambia geborene Tochter eines Deutschen und einer Ghanaerin eine Herzensangelegenheit: „Köln ist der Hammer. Ich wollte schon immer hier leben.“ Den Ausschlag für den Wechsel gab letztlich aber das Umfeld beim ASV.

Denn mit dem zweifachen Weltmeister im Dreisprung, Charles Friedek, traf die ehrgeizige Athletin am Olympiaweg auf die Art Trainer, nach der sie so lange gesucht hatte. Die Chemie zwischen Sportlerin und Coach stimmte auf Anhieb: „Einen guten Trainer zeichnet seine Sozialkompetenz aus. Wir agieren auf Augenhöhe, was mir sehr wichtig ist. Ich habe meinen eigenen Kopf und muss gewisse Dinge selbst entscheiden, weil ich mittlerweile weiß, was mir gut tut“, sagt Wester, die mit einer persönlichen Bestleistung von 6,46 Meter bei Dreisprung-Nachwuchsbundestrainer Friedek einstieg und sich nach nicht einmal zwei Wochen gemeinsamer Arbeit um 13 Zentimeter gesteigert hatte.

Alexandra Wester schreit ihren Jubel heraus

 Alexandra Wester
Verein: ASV Köln
Disziplin: Weitsprung
Trainer: Charles Friedek
Persönliche Bestleistung: 6,95m
Foto: IMAGO/Sebastian Wells

Weltjahresbestleistung in Berlin

Es ist der Beginn einer Erfolgsstory, die ihren vorläufigen Höhepunkt am 13. Februar 2016 nimmt. Dank einer Steigerung ihrer persönlichen Bestleistung auf 6,72 Meter beim international stark besetzten Leichtathletik-Meeting Anfang Februar in Düsseldorf sichert sich die ASV-Athletin die Einladung für das Istaf Indoor in Berlin. Noch fehlen Wester drei Zentimeter, um sich für die Hallen-WM zu qualifizieren und gleichzeitig auch den von Karin Hänel aufgestellten ASV-Vereinsrekord zu knacken. „In so einem hochkarätigen Feld mit springen zu dürfen, ist der Wahnsinn, einfach unglaublich“, sagt die hochtalentierte Springerin, die schon mit 15 Jahren Deutsche Meisterin im Siebenkampf wurde.

Doch Wester springt vor 12.600 Zuschauern in der Berliner Mercedes-Benz-Arena nicht nur mit der internationalen Konkurrenz um die Vize-Weltmeisterin von 2015, Shara Proctor. Sie überflügelt diese mit einer schier unglaublichen Leichtigkeit in ihren Sprüngen, springt im dritten Versuch auf überragende 6,95 Meter (Das Video zu Westers Sprung gibt es hier). Der Sieg mitsamt Weltjahresbestleistung ist ihr sicher. Dazu der Start bei der Hallen-WM und der ASV-Rekord. „Diesen Tag werde ich nie vergessen. Ich kann gar nicht sagen, wie überwältigt ich bin“, lässt der Shooting-Star seine Fans online wissen. Dazu der Satz: „Für das was man liebt, lohnt es sich immer zu kämpfen.“

Trainer Charles Friedek bejubelt den Rekordsprung

Coach Charles Friedek gratuliert Alexandra Wester zur Weltjahresbestleistung.
Foto: IMAGO/Matthias Koch

Eine schwere Entscheidung wird belohnt

Dass dies im Falle von Alexandra Wester keine leeren Worthülsen sind, sondern der Kampf um die eigene Leistungsfähigkeit schon früh ein zentrales Thema für die große Nachwuchshoffnung wurde, verrät ein Blick in ihre Vergangenheit. 2011 stürzt der Teenager auf nasser Bahn beim Hürdenlauf schwer. Westers Knie erleidet quasi einen Totalschaden. Zwar kämpft sie sich zurück, doch fortan machen ihr Folgeverletzungen immer wieder zu schaffen. So auch während der Zeit in den USA, wo die junge Athletin für ein Jahr ein Vollstipendium an der Privatuni von Miami erhält.

Nach einem Muskelfaserriss gleich im zweiten Wettkampf fasst Wester eine weitsichtige Entscheidung: Statt schnellstmöglich ins Siebenkampftraining zurückzukehren, beschließt sie, sich gänzlich auf ihre Lieblingsdisziplin Weitsprung zu konzentrieren. „Ich habe dann fünf Monate alleine trainiert und mir gesagt, ich ziehe mein Ding jetzt durch.“ Mit ihrem „Ding“ meint Wester, die seit dem USA-Aufenthalt sieben Kilo Muskelmasse abgebaut hat, ein individuelles Krafttraining, das fast ausschließlich auf Schnellkraft ausgelegt ist. Übungen zur Stärkung der Maximalkraft lässt sie komplett außen vor.

„Seit der Verletzung höre ich genau in meinen Körper rein“, bestätigt Wester, die sich nicht erst seit ihrer schweren Knieverletzung intensiv mit dem Bereich Trainingswissenschaften auseindersetzt. An der Deutschen Sporthochschule will sie alsbald ein Bachelorstudium im Bereich „Sport und Leistung“ beginnen. Schon jetzt kann sie sich nach ihrer aktiven Karriere eine Laufbahn als Athletiktrainerin für Profisportler vorstellen. Den ersten Schritt dazu bewältigte Wester, die nebenbei unter anderem für den Sportartikelhersteller Adidas modellt, bereits in den USA, wo sie neben dem Stipendium als selbstständige Fitness-Trainerin arbeitete und Bootcamps am Strand von Miami organisierte.

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„Das gesamte Jahr in den USA hat mich unglaublich weitergebracht, in allen Bereichen“, strahlt Wester, die in Sachen Management prominente Unterstützung genießt. Patrick Esume – den deutschen American Football-Fans nicht erst seit den TV-Übertragungen in dieser Saison bekannt, die der ehemalige NFL-Assistenzcoach mit Fachwissen und lockeren Sprüchen bereicherte – unterstützt die Neu-Kölnerin im Hintergrund. Im Vordergrund zieht Alexandra Wester ihr Ding durch. Die eigene Philosphie vom Krafttraining gepaart mit der Technik-Expertise von Charles Friedek: Das ist das Erfolgsgeheimnis der Senkrechtstarterin, die immer an sich und ihren Weg gelaubt hat.

Die jetzigen Resultate bestätigen die ambitionierte Sportlerin. Für die Deutsche Meisterschaft im März in Leipzig zählt sie in aktueller Form zu den Mitfavoritinnen. Und dann stehen im Sommer ja noch die Olympischen Spiele in Rio auf dem Programm. „Das ist mein Ziel und ich kann es erreichen.“ Ungläubige Blicke sucht man angesichts dieser Aussage mittlerweile vergebens.

Stefan Kühlborn