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Köln.Sport

„Von Null auf hundert geht es leider nicht“

Henriette Reker wird oft mangelnder Einsatz im Bereich Sport vorgeworfen. Im ersten Teil unseres Köln.Sport-Interviews bezieht sie zu diesem Vorwurf und äußert sich auch ausführlich zum Thema Geißbockheim.

Henriette Reker kandidiert bei den Die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 13. September 2020 für eine zweite Amtszeit (Foto: Andreas Kerschgens)

Der Terminkalender einer Oberbürgermeisterin ist prall gefüllt. Bei ihr einen Termin zu bekommen ist kein einfaches Unterfangen. Gleich mehrere Male musste unser geplantes Interview verschoben werden, eine Absage kam für Henriette Reker aber nie infrage. Sie wollte sprechen, über Sport in Köln, ihre Rolle bei den Ausbauplänen des 1. FC Köln am Geißbockheim und über ihre Vision von der Sportstadt der Zukunft.

Als die parteilose Kommunalpolitikerin uns im historischen Rathaus empfängt, ist sie gut gelaunt. Der Stress eines vollgepackten Tages ist ihr nicht anzumerken. Sehr wohl aber das Bedürfnis, über Sport zu sprechen und einige (Vor-)Urteile aus dem Weg zu räumen.

Frau Reker, wir sprechen heute über den Sport. 2019 war in Köln einiges los. Was war Ihr persönliches Highlight im vergangenen Jahr im Kölner Sport?

Das Jahr hatte viele Highlights, für mich ist und bleibt aber das DFB-Pokalfinale der Frauen immer etwas ganz Besonderes. Die Handball-Champions-League-Endrunde, das Final 4, in der Lanxess Arena war erneut atemberaubend. Neben den Veranstaltungen war mir die Vorstellung der Sportentwicklungsplanung sehr wichtig, denn damit ist es uns gelungen, den Sport als Querschnittsthema zu verankern. Die Sportstadt Köln hat zwei Stärken: die vielen Großereignisse auf der einen und der Breitensport auf der anderen Seite. Wir haben weit mehr als 600 Vereine, die für die Stadtgesellschaft von hoher Bedeutsamkeit sind. Beides gehört zu dieser Stadt dazu, und ich bin froh, dass wir beides leisten können.

Sie sprechen die Sportentwicklungsplanung an, die erstmals in Köln durchgeführt wurde. Einige Modellprojekte wurden bereits umgesetzt. Wie bewerten Sie die Sportentwicklungsplanung bis dato?

Es war wichtig, dass wir diese Sportentwicklungsplanung gemacht haben. Prof. Robin Kähler und sein Team haben die Planung mit großer Leidenschaft durchgeführt. Viele Bürgerinnen und Bürger haben sich aktiv beteiligt. Die Planung steht somit auf einer guten Basis und wird von allen Seiten akzeptiert. Wichtig ist, dass diese Planung nicht als „Papiertiger“ endet, sondern dass tatsächlich Geld zur Verfügung gestellt und jedes Jahr konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. Genau das passiert im Moment. Wir haben eine Vereinbarung mit dem Stadtsportbund getroffen, dass er bestimmte Aufgaben für uns übernimmt. Deswegen können wir mit der Planung sehr zufrieden sein. Sie hat die Weichen für die Zukunft gestellt.

Was muss passieren, damit die Planung auch weit über die Modellprojekte hinaus den Sport in Köln in den nächsten Jahren, womöglich sogar Jahrzehnten, nach vorne bringt?

Durch die Sportentwicklungsplanung ist eine ganz andere Zusammenarbeit der Geschäftsbereiche entstanden. Das wird sich auch in Zukunft positiv auswirken. Ein Beispiel: Wenn wir Turnhallen für Schulen bauen, ist es wichtig, auch mit den ansässigen Sportvereinen und dem Sportamt zu sprechen, sodass am Ende die Interessen aller erfüllt werden können. Alle Sportakteure sind durch die Sportentwicklungsplanung zusammengerückt. Ein weiterer langfristiger Effekt ist die Fokussierung auf Sport im öffentlichen Raum. Die Bürgerbefragung im Rahmen der Sportentwicklungsplanung hat bewiesen, dass immer mehr Menschen vereinsungebundenen Sport treiben. Unser Ziel ist es, dass die Kölnerinnen und Kölner ganz selbstverständlich den öffentlichen Raum nutzen, um Sport zu treiben. Sport für alle: Das fängt im Kindergarten an und hört in den Seniorennetzwerken auf. Bei öffentlichem Raum wird man sich zukünftig immer die Frage stellen: Wie ist er auch für Sport nutzbar?

So mancher Sportfunktionär bemängelt, dass der Sport des Öfteren von der Politik vernachlässigt wird. Es heißt, dem Sport in Köln fehle eine Lobby. Sehen Sie das ähnlich?

Köln ist eine sehr vielfältige Stadt, darauf sollten wir stolz sein. Sport ist hier ein großes Thema, aber längst nicht das einzige. Kunst und Kultur zum Beispiel, Konzerte und vieles mehr sind eben auch wichtig. Ich kann die Kritik von Vertretern des Sports verstehen. Sie wünschen sich, dass „ihr“ Thema noch mehr Aufmerksamkeit bekommt – das ist auch richtig so! Das geht anderen Bereichen wie etwa der Kultur genauso. Das Thema Geld spielt in dieser Diskussion immer wieder eine große Rolle.

In die Sportförderung fließen 2020 und 2021 0,6 Prozent des städtischen Gesamtetats, da scheint noch Luft noch oben zu sein. Wäre es an der Zeit, darüber nachzudenken, dem Sport, der ja unter den sogenannten freiwilligen Aufgaben läuft, ein „Upgrade“ zu verpassen und ihm mehr Mittel zur Verfügung zu stellen?

Diese klare Trennung zwischen gesetzlichen und freiwilligen Aufgaben existiert für mich gar nicht. Auch Integration ist eine freiwillige Aufgabe und dennoch wichtig. Das Gleiche gilt für Kunst. Solange man keine Haushaltssicherungskommune ist, kann man den Bedarf ja gegebenenfalls anpassen. In Köln verschlingt derzeit die Sanierung und der Neubau der Kölner Bühnen am Offenbachplatz viel Geld. Das sorgt für Ärger und ist für viele Anlass, mit dem Finger aufzuzeigen. Wir werden in Zukunft auch wieder andere Schwerpunkte setzen. Die Sportentwicklungsplanung und das Geld, das dafür im Haushalt verankert ist, stellt einen Anfang dar. Von null auf hundert geht es leider nicht.

Sie sind seit gut vier Jahren im Amt. Worauf sind Sie in Ihrer Amtszeit stolz, wenn Sie an das Thema Sport denken?

Eine Sache, die mir am Herzen liegt, sind die inklusiven Sportangebote in Köln. Da haben wir bereits viele Maßnahmen auf den Weg gebracht, und ich kann versprechen, dass wir 2020 noch einmal deutlich mehr inklusive Sportangebote anbieten werden. Es ist uns in diesem Zusammenhang auch gelungen, einige große Events zu veranstalten. Als ehemalige ­Judoka bin ich besonders stolz darauf, dass wir in 2017 in der ASV-Halle die allererste Judo-Weltmeisterschaft für geistig behinderte Menschen ausrichten durften. Und auch die Europameisterschaft 2019 war ein voller Erfolg. Dazu haben wir jedes Jahr mit dem Bernd-Best-Turnier ein großes Rollstuhlrugby-Turnier und sind in diesem Jahr Ausrichter des Rollstuhlbasketballturniers „Nations Cup Cologne“. Es ist wichtig, die inklusive und integrative Kraft des Sports zu nutzen. Darüber hinaus erfüllt es mich mit Freude, dass wir es geschafft haben, das Final 4 der Handball-Champions-League sowie das DFB-Pokalfinale der Frauen in der Stadt zu halten. Diese Events werden in Köln zelebriert und im Rahmen von großen Fanfesten veranstaltet.

Ein Thema, das Sie seit Ihrer Amtsübernahme begleitet, ist der Plan des 1. FC Köln, sein Trainingsgelände zu erweitern. Sie hatten den Ausbau ursprünglich unterstützt, im Sommer 2019 aber gesagt, es habe „ein Umdenken stattgefunden“. Warum unterstützen Sie den Ausbau am Geißbockheim nicht mehr?

Zunächst möchte ich eines klarstellen: Ich wünsche mir genau wie der FC, dass der Verein ein Leistungszentrum bekommt, welches er ja dringend braucht. In dem Zusammenhang fand ich es merkwürdig, dass geschrieben wurde, die Oberbürgermeisterin gehe auf Distanz zum Klub. Das tue ich nicht. Was für den FC gut ist, ist gut für die Stadt und umgekehrt. Ich kann verstehen, dass der 1. FC Köln am Geißbockheim bleiben möchte, dort ist seine Heimat. Auf der anderen Seite muss der Verein auch wissen, dass definitiv Klagen erfolgen werden, selbst wenn die Entscheidung des Rates positiv ausfällt. Das wird den Prozess extrem verzögern, und dann stellt sich die Frage: Kann der Verein in Kauf nehmen, noch ein paar Jahre zu warten oder nicht? So war das gemeint, was ich gesagt habe. Im Einvernehmen mit dem FC wäre es ja vielleicht gut, einen anderen Standort zu suchen, auch um die Sache voranzubringen.

Können Sie die Gründe für Ihr Umdenken noch einmal kurz darlegen?

Die Welt hat sich in den letzten fünf Jahren geändert. Und ich denke, man kann auch von einer Oberbürgermeisterin erwarten, dass sie mit der Zeit geht, auf Veränderungen reagiert und ihr Urteil im Zweifel auch nach gutem Gewissen ändert. Dass ich die Pläne 2015 grundsätzlich für richtig hielt, dazu stehe ich. Wir haben im Juni 2019 aber den Klimanotstand beschlossen. So ein Beschluss hat Folgen, und zwar in jeder Beziehung, nicht nur den FC betreffend. Darüber muss man nachdenken und die Argumente in der Offenlage neu bewerten. Es sind mehr als 7.000 Eingaben gekommen, das muss ich ernst nehmen.

Beim 1. FC Köln kam Ihr Umdenken nicht gut an. Auf der Mitgliederversammlung des Klubs sagte Geschäftsführer Alexander Wehrle, Sie seien „wegen machtpolitischer Interessen“ zu neuen Erkenntnissen gekommen. Ärgert Sie diese Aussage?

Wenn er die Dinge so sieht, ist das seine Einschätzung. Für mich allerdings ist die Situation völlig klar: Man kann nicht einen Klimanotstand beschließen und dann so tun, als gäbe es ihn nicht. Die ganze Meinung der Stadtgesellschaft hat sich in den letzten fünf Jahren diesbezüglich geändert.

Sehen Sie aktuell denn eine Chance, dass es noch zu einem Kompromiss kommen kann, der beide Seiten zufriedenstellt? Und wie könnte dieser aussehen?

Ich will das gar nicht Kompromiss nennen. Man muss gemeinsam darüber nachdenken, wie die beste Lösung für den 1. FC Köln aussieht. Bei Kompromissen müssen ja beide Seiten auch gewisse Abstriche machen, davon gehe ich gar nicht aus. Der Verein muss sich überlegen, was gut für ihn ist. Am Ende treffe ich als Oberbürgermeisterin sowieso keine Entscheidung in dieser Sache, der Rat wird sie treffen.

Trotzdem wurden Sie nach Ihren Aussagen von vielen FC-Unterstützern kritisiert. Bei dem ein oder anderen entstand so das Bild einer Oberbürgermeisterin, die sich wenig für die Belange des FC interessiere und der der Sport nicht wichtig sei. Stört Sie diese öffentliche Wahrnehmung?

Ich muss immer ein bisschen schmunzeln, wenn ich das höre. Ich bin mit einem Profisportler verheiratet, bei uns ist Sport ein Riesenthema zu Hause, und zwar in seiner ganzen Bandbreite. Mein Mann ist Australier und Golfprofi, von daher stehen auch nicht nur die Sportarten auf dem Programm, die man hier guckt, sondern auch Cricket und vieles mehr. Der Eindruck der Kritiker mag entstehen, weil meine Vorgänger Fritz Schramma und Jürgen Roters beide sehr sportaffin waren, insofern vergleichen die Menschen einen diesbezüglich auch immer. Wer mich allerdings kennt, weiß, dass ich sehr sportinteressiert bin. Ich schaue gerne Sport, vor allem live. Bei Events wie beispielsweise „Rund um Köln“ dabei zu sein und zu sehen, wie die Fahrer da um die Ecke gefegt kommen – das finde ich sensationell. Ich habe das Glück, durch mein Amt viele aktive oder ehemalige Sportler wie Timo Boll, Serhij Bubka, Jürgen Hingsen, Heiner Brand oder Britta Heidemann kennenlernen zu dürfen. Mit denen tausche ich mich regelmäßig bei Veranstaltungen aus und mache dann auch gerne das ein oder andere Selfie – die einzigen Selfies, die ich überhaupt mache, mache ich mit Sportlern (lacht). Ich gehe jedes Jahr mit großem Vergnügen zur Kölschen SportNacht. Sport ist mir wichtig! Dass der Eindruck in der öffentlichen Wahrnehmung zuweilen ein anderer ist, muss ich akzeptieren.

Das Interview führte Peter Stroß – lesen Sie morgen den zweiten Teil unseres großes Interviews mit Henriette Reker auf koelnsport.de