Selbstversuch: Unterwasserrugby
- Updated: Februar 11, 2014
Es ist die einzige dreidimensionale Ballsportart der Welt: Unterwasserrugby. Was klingt wie ein wildes Durcheinander unterhalb der Wasseroberfläche, hat in Wahrheit viel mit Taktik zu tun. Für den Anfänger gibt es zunächst aber nur eine echte Vorgabe: Bloß nicht untergehen!
Ich merke, wie mir die Puste ausgeht. Gerade erst habe ich mich vom Beckenrand abgedrückt – voller Zuversicht hinein in die Fluten. Mein Ziel, ein etwa drei Kilogramm schwerer Ball, liegt gut acht Meter vor mir auf dem Grund des knapp vier Meter tiefen Beckens. Zielsicher steuere ich das mit Salzwasser gefüllte Spielgerät an. Der Druck auf meinen Ohren ist kaum auszuhalten. Gerade will ich nach dem Ball greifen, da spüre ich zum ersten Mal Gegnerkontakt. Mein Kontrahent, der im Gegensatz zu mir eine weiße, statt einer blauen Badekappe trägt, war schneller als ich, greift den Ball und stößt mich unsanft zur Seite. Ich versuche den Stoß abzufedern und verliere dabei die Orientierung. Überall ist Wasser.
Ich will hier raus. Nur diesen Gedanken gibt es noch. Aber wie? Um mich herum tobt das Spiel. Es wird gepasst, gehalten, gezogen und getackelt. Über, unter und neben mir. Ich fühle mich wie ein Fremdkörper. Ein zappelnder Aal inmitten einer Schar hungriger Haie. Panik macht sich breit. Erst recht, als ich merke, dass der direkte Weg zur Oberfläche versperrt ist. Zwei Spieler kämpfen über meinem Kopf um den Ball. Kein Durchkommen. Ich ringe nach Luft. Endlich, eine Lücke. Ich nutze die Chance, schlucke beim Auftauchen mindestens zwei Liter Chlorwasser, ehe ich endlich an der Wasseroberfläche ankomme. Japsend und hustend kämpfe ich mich Richtung Beckenrand. Das also ist Unterwasserrugby. Worauf habe ich mich da bloß eingelassen.
Gut eine Stunde zuvor stehe ich im Eingangsbereich des Hallenbades Porz Wahn. Zwischen besorgten Müttern, die ihre Kinder bei den ersten Schwimmversuchen beobachten, warte ich auf Thomas Schichler. Schichler ist Mitglied der Tauchsportgemeinschaft Porz von 1962 und im Verein für den Bereich Unterwasserrugby zuständig. Bevor es nachher ins Wasser geht, will er mich fit machen – zumindest theoretisch. Gespielt wird Sechs-gegen-Sechs. Ziel ist es, den Ball in einem der beiden Tore auf dem Grund des Beckens unterzubringen. Körperkontakt ist dabei erwünscht. Verboten sind aber Kratzen, Beißen, Schlagen oder das Reißen an der Ausrüstung. Ohnehin darf nur derjenige Spieler angegriffen werden, der sich auch wirklich in Ballbesitz befindet. Zudem erfahre ich, dass es auf engem Raum unglaublich wichtig ist, sich freizuschwimmen. In der Theorie klingt das alles ganz nett. Könnte sogar Spaß machen.
Etwas mulmig ist mir dann aber doch zumute, als ich meine Klamotten ins Schließfach räume und die gilbfarbene Tür ins Schloss fallen lasse. Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf. War ich nicht derjenige gewesen, der sein Seepferdchen erst im zweiten Anlauf bestanden hat. Und jetzt wage ich mich freiwillig an eine Sportart, der ich augenscheinlich nicht gewachsen bin. „Dann wollen wir mal“, reißt Schichler mich plötzlich aus meinen Gedanken, während er die Umkleidekabine verlässt und sich schwungvoll Richtung Wasser bewegt. Wie ein Pinguin watschle ich hinter meinem Mentor her. Die Schwimmflossen an meinen Füßen fühlen sich fremd an und machen eine elegante Fortbewegung – zumindest über Wasser – unmöglich. Dazu bekomme ich Badekappe samt Ohrenschutz, Taucherbrille und einen Schnorchel in die Hand gedrückt. Fertig ist die Ausrüstung. Ich bin also bereit für mein erstes Mal.
Wie ein Profi sitze ich am Beckenrand und spucke von innen in meine Taucherbrille. Das finde ich zwar irgendwie unappetitlich, soll aber verhindern, dass die Gläser unter Wasser beschlagen. Dann ist es soweit: Elegant wie eine Seekuh platsche ich ins Wasser. Sofort füllt sich mein Schnorchel mit selbigem und ich muss auftauchen. Ein paar Anläufe brauche ich, ehe ich es erstmals schaffe, das Wasser durch den Schnorchel auszupusten. Nach drei bis vier Minuten habe ich mich mit meiner Umgebung und der Ausrüstung vertraut gemacht und schnorchel einige Bahnen am Stück. Zeit, meine Mitspieler kennenzulernen.
Insgesamt drei Mal wurden die Unterwasserrugby-Spieler der TSG Porz Deutscher Meister. 1976, 1977 und 1979 war das. Bei allen drei Titelgewinnen wirkte Heinz Schäfer aktiv mit. Der heute 73-Jährige fungierte anschließend lange Jahre als Präsident der TSG, ist heute Ehrenpräsident und erinnert sich gerne an einstige Erfolge zurück: „Es galt: Nur wer Porz schlägt, konnte Meister werden.“ Diese Zeiten sind allerdings vorbei. Während mittlerweile sogar Welt- und Europameisterschaften im Unterwasserrugby ausgetragen werden, spielen die Porzer ausschließlich zum Spaß. „Und um fit zu bleiben“, erwidert Jürgen Klenk, ebenfalls 73 Jahre jung und wie Schäfer, noch immer mit vollem Einsatz dabei.
Fitness. Ein gutes Stichwort. Ich spiele regelmäßig Fußball, gehe laufen und bin auch sonst nicht unbedingt unsportlich. Trotzdem wünsche ich mir ein Sauerstoffzelt, als ich mich nach meinem missglückten ersten Spielversuch wie ein gestrandeter Wal aus dem Becken quäle. „Mach dir keinen Kopf, beim ersten Mal geht’s nur ums Überleben“, ruft mir ein Mitspieler zu, ehe er wieder abtaucht. Der hat leicht reden. Ich steige – eigentlich noch immer außer Atem – zurück ins Becken, beschließe aber, das wilde Treiben zunächst aus sicherer Entfernung zu beobachten.
Es geht hin und her. Meine Mannschaft hat gerade vor dem gegnerischen Tor, das eher an einen überdimensionalen Mülleimer erinnert, den Ball verloren, als ich mich entschließe wieder ins Geschehen einzugreifen. Zu zweit steuern die Gegner mit den weißen Badekappen unser Tor an, als ich von oben auf den Ballführer zu schwimme und mich ihm in den Weg werfe. Wieder bekomme ich fast eine Hand an das Spielgerät. Doch erneut stoppt mich die Atemnot. Während die anderen Spieler locker 30 Sekunden unter Wasser bleiben, wird es bei mir schon nach zehn Sekunden eng.
„Das war gar nicht schlecht. Aber versuch, noch härter zu tackeln“, sagt mir ausgerechnet Ute Weinrich, die einzige Frau im Teilnehmerfeld. Gesagt – getan! Ich beschließe, mich von nun an auf die Verteidigung des eigenen Tores zu beschränken und werfe mich ins Getümmel. Und siehe da: Tatsächlich schaffe ich es, einen Gegenspieler kurz vor dem Tor zu stoppen und ihm den Ball zu entreißen. Zwar ist mein Gegenüber erst zwölf Jahre alt, dennoch verbuche ich das als Erfolg.
Ich schaffe es in der zweiten Halbzeit noch ein paar Mal, effektiv im Weg zu stehen, und gewinne neben ein paar Bällen auch die Erkenntnis, dass Unterwasserrugby auch Anfängern wie mir Spaß machen kann. Um aber wirklich erfolgreich zu spielen, bedarf es – zumindest in meinem Fall – wohl noch einigen Trainingseinheiten.
Nach gut einer Stunde ist das Training beendet. Erschöpft steige ich aus dem Wasser. Anerkennend klopft mir Jonas auf die Schulter: „ich finde, du hast dich gut geschlagen.“ Der Zwölfjährige und sein Klassenkamerad Tim sind die Nachwuchshoffnungen der TSG. Jeden Sonntag werden die beiden Jungs von ihren Eltern zum Auswahltraining nach Oberhausen gefahren. „Wir sind stolz, den Nachwuchs für diesen tollen Sport begeistern zu können“, sagt Klenk, der irgendwie noch immer fitter wirkt, als ich mich fühle. Lachend lädt er mich noch auf ein Kölsch ins Vereinsheim ein. Dankend nehme ich an. Wasser habe ich jetzt schließlich mehr als genug getrunken.
Von Stefan Kühlborn
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