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Köln.Sport

Schiedsrichter allein gelassen

Immer häufiger erfahren Unparteiische im Amateurfußball Anfeindungen und Gewalt. In Köln ist die Situation zuletzt eskaliert. Die Folge: Die Schiris streikten. Was muss passieren, damit Spielleiter auf den Sportplätzen der Nation wieder sicher werden?

Viele Schiedsrichter fühlen sich auf dem Sportplatz nicht mehr sicher. (Foto: imago images / Claus Bergmann)

Das Maß war einfach voll!“ Diese eindeutige Botschaft senden die Schiedsrichter in Köln am 17. November an Verband, Vereine und Fußballer. Sie streiken, ohne Ankündigung. Der Schiedsrichter, bei guten Leistungen oft dafür gelobt, „unsichtbar“ gewesen zu sein, bleibt an diesem Wochenende auf den Amateurfußballplätzen tatsächlich unsichtbar. Doch was war passiert? Was bewegte den Kreis-Schiedsrichterausschusses zu dieser drastischen Maßnahme?

3. November, Heimspiel zwischen Blau-Weiß Köln V und Germania Ossendorf in der Kreisliga D. Das Spiel endet mit 4:1 für die Gastgeber, doch das Ergebnis rückt nach Abpfiff in den Hintergrund. Spieler der Gastmannschaft beleidigen den Schiedsrichter noch auf dem Platz massiv, fangen plötzlich sogar an ihn zu jagen. Der Unparteiische, der zuvor zwei Ossendorf-Spielern wegen Beschimpfungen die Rote Karte gezeigt hatte, wird über den Platz gejagt, erleidet durch Tritte er eine offene Wunde und ein Hämatom.

Immer mehr Gewalt gegen Schiedsrichter

Es ist der traurige Höhepunkt von Gewaltvorfällen auf Fußballplätzen in Köln und ganz Deutschland. Übergriffen auf Schiedsrichter, Handgreiflichkeiten oder Prügeleien sind längst alltäglich geworden. Im September wird in Berlin ein Schiedsrichter niedergeschlagen, einen Monat später ereilt einen Kollegen in Hessen das gleiche Schicksal – er muss mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus geflogen werden.

Es sind Vorfälle, die Sportfans hierzulande schockieren. Für die Schiedsrichter in Köln brachte der Vorfall am 3. November das Fass zum Überlaufen. „Wir sind nicht mehr bereit, diese Vorfälle als unvermeidliche Geschehnisse zu betrachten, die zum Fußball dazugehören“, begründete der Schiedsrichter-Ausschuss seine Entscheidung in einer Pressemitteilung zum Streik. Allein zehn tätliche Angriffe auf Schiedsrichter und 56 weitere Vorfälle wie Beleidigungen oder Bedrohungen seien in der laufenden Saison allein in den Kölner Herren-Kreisligen A bis D dokumentiert worden.

„Die Anzahl der Gewaltvorfälle im Amateurfußball hat trotz der gravierenden Ereignisse in der jüngsten Vergangenheit statistisch nicht zugenommen“, äußert sich Bernd Neuendorf, Präsident des Fußball-Verbandes Mittelrhein (FVM) auf Köln.Sport-Nachfrage. Für ihn sei Gewalt im Amateurfußball kein flächendeckendes Problem, gleichwohl sei „jeder Vorfall einer zu viel“.

„In der Sache bringt uns der Streik nicht weiter“

Für den Streik allerdings hat Neuendorf wenig Verständnis. „Ein Streik mag große mediale Aufmerksamkeit erzeugen. In der Sache bringt er uns aber nicht weiter“, so der FVM-Präsident. Man sei an nachhaltigen Konzepten und Maßnahmen interessiert. Genau das ist auch der Schiedsrichterausschuss, der harte Bestrafung von Angreifern, besseren Schutz für die Unparteiischen durch Ordner sowie bessere Betreuung durch die Vereine fordert.

Den Unmut beim Verband bzgl. des Streiks kann Kai Köhler, Vorsitzender des Kreis-Schiedsrichterausschusses nicht nachvollziehen: „Hätten wir es früher angekündigt, wäre der Spieltag vermutlich einfach abgesagt und irgendwann unter der Woche nachgeholt worden.“

Wenig Rückhalt im Verband

Für Dirk Alteweier, seit 30 Jahren Schiedsrichter, ist die Reaktion des FVM ein falsches Signal. Er selbst leitete am 17. November im Kreis Berg das Spiel zwischen der SG Overath-Vilkerath II und Union Blau-Weiß Biesfeld II und setzte bei der Partie ebenfalls ein Zeichen. Nach zehn Minuten pfiff er das Spiel ab, um zehn Minuten zu streiken.

Die Mannschaften hatte er beim Münzwurf über die Aktion informiert, beide Teams samt Trainer- und Betreuerstab schlossen sich dem Protest an. Mit der spontanen Aktion reagierte Alteweier auf einen Vorfall im Kölner Raum. Sein Schiedsrichterkollege Thomas Eßer war bei einem Spiel in Porz übel beleidigt worden. Auch seine Söhne, die als Assistenten fungierten, mussten sich derbe Schimpfwörter anhören. Eßer erteilte daraufhin Platzverweise.

Schiedsrichter zieht Konsequenz

Der eigentliche Skandal ereignete sich bei der fälligen Spruchkammersitzung. „Die Beschuldigten verdrehten sämtliche Tatsachen. Thomas durfte anschließend trotz Anwesenheit keine Aussage tätigen und auf die Vorwürfe reagieren. In seinem Schlusswort ließ das Gericht meinen Kollegen dann noch wissen, dass man sich Schimpfwörter wie ‚Lappen‘ oder ‚Der hat doch einen Stock im A…‘ gefallen lassen müsse“, berichtet Alteweier. Die Strafen (100 Euro für Verein plus 50 Euro für zwei Betreuer) empfindet er als „lachhaft“.

Thomas Eßer gab nach dem Vorfall als persönliche Konsequenz seinen Schiedsrichterausweis freiwillig ab. Es stellt sich die Frage, ob die Schiedsrichter vom Verband im Stich gelassen werden. „In diesem speziellen Fall ja“, sagt der erfahrene Unparteiische. „Nachher noch dem Schiedsrichter eine Mitschuld zu geben, finde ich – genau wie das Unverständnis für den Streik – absolut das falsche Signal. Öffentlich lässt man die Schiedsrichter alleine.“

Suche nach Lösungen

Die Tatsache, dass es im Amateur-Fußball immer wieder zu Gewalt gegen Schiedsrichter kommt, ist nicht hinnehmbar und verlangt dringend Maßnahmen seitens der Verbände. Doch was kann gegen das Problem konkret unternommen werden? Diese Frage stellte man sich zuletzt selbstverständlich auch beim DFB. Im Rahmen der jährlichen Tagung trafen sich Mitte November die Schiedsrichter-Obleute und -Lehrwarte der 21 Landesverbände in Frankfurt am Main.

Dort erörterten sie gemeinsam das Thema Gewaltprävention und den zukünftigen Umgang mit Gewaltvorfällen. Ronny Zimmermann, DFB-Vizepräsident für Schiedsrichter und Qualifizierung, formulierte im Anschluss an die Konferenz ein durchaus positives Fazit: „Wir können von einem konstruktiven und erfolgreichen Auftakt der Tagung sprechen. Die internen Umfrageergebnisse zum Thema Gewaltprävention und Umgang mit Gewaltvorfällen haben gezeigt, dass es bereits viele hilfreiche Maßnahmen und Angebote gibt, diese aber noch nicht allen bekannt sind, da jeder Landesverband seine eigenen Ansätze verfolgt.“

Auf konkrete Veränderungen oder Anpassungen ging Zimmermann indes kaum ein. Allerdings verwies er darauf, dass die gewonnen Erkenntnisse von den Teilnehmern besprochen und ausgewertet worden seien. Thorsten Loch, Sportpsychologe aus Hennef, ist der Meinung, dass gerade im Bereich Schiedsrichterschulungen noch Optimierungspotenzial liegt.

Perfekte Schulung wichtig

„Natürlich kann der Unparteiische zu Fairplay aufrufen, aber es wird immer Spieler geben, die sich beschweren oder gewaltbereit sind, und Zuschauer, die reinrufen. Das kann weder der Verband noch der Schiedsrichter beeinflussen. Die eigene Handlungskompetenz allerdings sehr wohl“, so der Sportpsychologe gegenüber Köln.Sport. Er sieht die Schulung der Schiedsrichter in puncto Gewaltprävention als kurzfristig einzig zielführenden Weg.

„Für den Schiedsrichter wäre es wichtig, perfekt geschult zu werden. Im Amateurfußball geschieht das zu wenig. Ein Schiedsrichter muss wissen, wie er gewisse Verhaltensmuster zu deuten hat und Gewaltbereitschaft erkennt. So kann er frühzeitig mit den entsprechenden Spielern kommunizieren und so gegebenenfalls ein bisschen ‚Druck vom Kessel nehmen‘. Selbstsicheres Auftreten und der richtige Umgang mit eigenen Fehlern können Gewaltbereitschaft reduzieren“, so Loch, der somit die Verbände in die Pflicht nimmt. Zusätzlich fordert er mehr öffentlichkeitswirksame Kampagnen zum Schutz von Spielleitern.

Ausweitung der Gewaltprävention

Sind die Landesverbände, die in letzter Konsequenz für die Umsetzung der Spiele zuständig sind, dazu bereit? Köln.Sport fragte beim FVM nach, wie man zukünftig Schiedsrichter vor Gewalt und Hetzjagden schützen könne. In der Stellungnahme des Verbandes heißt es: „Der Fußball-Verband Mittelrhein hat bereits vor den aktuellen Vorfällen Interventions- und Präventionsmaßnahmen entwickelt.

In den Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen im FVM und den Kreisen war Gewaltprävention in den vergangenen Jahren und ist auch aktuell bereits inhaltlicher Bestandteil.“ Ab 2020 sei dann schließlich„eine verbandsweit verpflichtende Einbindung des Themas ,Gewaltprävention‘ in alle Lehrgangsmaßnahmen auf Verbands- und Kreisebene für Trainer/-innen, Schiedsrichter/-innen und Vereinsmitarbeiter/-innen“ vorgesehen.

Besonders wichtig sei es zudem, die Platzvereine, also die gastgebenden Mannschaften, bei den Spielen in die Pflicht zu nehmen. Laut der Spielordnung des FVM sei es bereits jetzt die Verantwortung der Vereine, „einen Ordnungsdienst zu stellen und die Umsetzung zu gewährleisten“. Im Zuge der neuesten Gewaltexzesse müsse man jedoch die Vereine noch einmal ganz gezielt für diese Tatsache sensibilisieren. Um die Vereine mit dem Problem nicht alleinzulassen, werde es ab Januar 2020 eine zentrale Anlaufstelle für alle Mitglieder und Vereine der Landesverbände im Westdeutschen Fußballverband geben.

Gesellschaftliches Problem

Auch wenn man sowohl beim FVM als auch beim DFB an Lösungen feilt, werden Pöbeleien, Drohungen und Gewalt gegen Schiedsrichter nicht von heute auf morgen von unseren Fußballplätzen verschwinden. Das gesellschaftliche Klima scheint rauer geworden zu sein. Der Meinung ist auch FVM-Präsident Bernd Neuendorf: „Respekt ist vielerorts zu einem Fremdwort geworden. Die Analyse, wonach der Hass, der Referees bisweilen entgegenschlägt, ein Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Probleme ist, ist durchaus richtig.“

Bernd Neuendorf sieht die Verantwortung demnach nicht ausschließlich bei den Verbänden – und auch nicht alleine bei der Politik –, sondern bei jedem Einzelnen in der Gesellschaft. „Anstand, Fairness, Respekt, Gewaltlosigkeit: All das lässt sich nur gemeinsam angehen“, so der FVM-Präsident.

„Der Fußballplatz ist kein rechtsfreier Raum“

„Wir als Verband, die Vereine, die Spielerinnen und Spieler, Trainerinnen und Trainer, die Zuschauer – alle können mit kleinen Gesten und einer klaren Haltung deutlich machen, dass Beschimpfungen und Attacken, gegen wen auch immer, nicht geduldet werden. Für uns ist klar: Der Fußballplatz ist kein rechtsfreier Raum, in dem man seine Gewaltfantasien, seine Emotionen einfach ungehemmt ausleben kann.“

Dass sich Schiedsrichter überall in Deutschland wieder sicher fühlen, wünscht sich auch Dirk Alteweier. Der erfahrene Referee hat seine ganz eigene Idee, wie sich die Situation verbessern könnte: „Ich würde mir wünschen, dass man die Spieler in diesen Prozess viel mehr einbindet. Denn die wissen zum Großteil überhaupt nicht, wie sich ein Schiedsrichter fühlt. Spieler sollten selber mal die Pfeife in die Hand gedrückt bekommen und Partien leiten. Ich denke, das würde schnell zu einer Sensibilisierung führen.“

Aktuell jedoch fehlt das Verständnis für die Schiedsrichter weitgehend noch. Und so müssen die Unparteiischen im Kölner Amateurfußball auch am nächsten Sonntag mit einem mulmigen Gefühl auf den Platz gehen.