Rund um Köln: Höhen und Tiefen
Vor 110 Jahren fand die erste Ausgabe von „Rund um Köln“ statt. Seitdem schreibt der Radklassiker seine eigene Geschichte – mit unvergesslichen Storys, großen Helden, aber auch Schwierigkeiten, die es zu überwinden galt
Mit schweren Beinen tritt Fritz Tacke ein letztes Mal in die Pedale, dann kann er sich feiern lassen. Insgesamt 20.000 Radsport-Fans am Zülpicher Wall jubeln ihm zu, als der historisch erste Sieger von „Rund um Köln“ nach 8:08 Stunden die Ziellinie überfährt. 204 Kilometer hat Tacke in den Beinen, mit aus heutiger Sicht langsamen 25 km/h hat er sie im Durchschnitt bewältigt. Dennoch: Seine 79 Mitstreiter – allesamt aus der näheren Umgebung Kölns – waren nicht in der Lage, ihn am Sieg zu hindern. Ganz im Gegenteil: Für seine Feierlichkeiten kann sich Tacke Zeit lassen, erst 32 Minuten nach ihm kommt mit Matthias Sebastian der Zweitplatzierte ins Ziel. Was sich nach einer unmenschlichen sportlichen Überlegenheit anhört, war für Tacke (RC Staubwolke 06) eher großes Glück: Bereits kurz nach dem Start hatten Gegner des Radfahrer-Projekts in Worringen Nägel auf die Strecke gekippt, für die Konkurrenten Tackes war der Traum vom Sieg gemeinsam mit ihren Reifen geplatzt.
Die erste Ausgabe von „Rund um Köln“ am 13. September 1908 sorgte bereits durchaus für Kontroversen, wurde heiß diskutiert. Aus heutiger Sicht war es der Startschuss für eine fast einmalige Erfolgsstory im deutschen Radsport. Nach „Rund um die Hainleite“ (Erfurt) ist es das zweitälteste noch existierende deutsche Straßenrennen.
Die Anfänge waren schwierig
Initiator Ferdinand Schneider hatte bis zur ersten Austragung 1908 ordentlich zu kämpfen, schaffte es aber, seinen umstrittenen Plan gegen alle Widerstände durchzusetzen. Mit Unterstützung seiner Vereinskollegen vom Verein Cölner Straßenfahrer (VCS) und RC Staubwolke 06, dem RTC Adler und den Ehrenfelder Strassenfahrern stellte er das Event auf die Beine. Obwohl viele Gemeinden die nötige Durchfahrterlaubnis verweigerten, konnte die Premiere vor 110 Jahren mit einem attraktiven Kurs aufwarten, der unter anderem nach Jülich, Bergheim und Zülpich führte – Start und Ziel lagen am Zülpicher Wall, im Herzen Kölns. Übrigens: Kurze Hosen waren beim Debüt polizeilich verboten, alle Fahrer waren gezwungen, ihre Beine komplett zu bedecken.
Die wachsende Begeisterung für „Rund um Köln“ konnten nicht einmal die beiden Weltkriege brechen, lediglich 1915 bis 1919 sowie 1944 und 1945 wurde das Rennen abgesagt. Lange Zeit begeisterten vor allem einheimische Fahrer die Kölner Radsport-Fans und trugen sich reihenweise in die Siegerlisten ein. Ein besonderer Doppelsieg gelang 1923 Fritz und Hermann Fischer. Die beiden kölschen Brüder entschieden sowohl das Profi- (Fritz) als auch das Amateur-Rennen (Hermann) für sich. Generell gelten die 1920er-Jahre als die große Glanzzeit des Radklassikers. Fahrer aus aller Welt kamen nach Köln, um sich mit den Besten zu messen. 1928 etwa gewann der Italiener Alfredo Binda, fünffacher Sieger des „Giro d’Italia“ und erster Straßenweltmeister aller Zeiten.
Doch die weitgehende Dominanz der deutschen Fahrer hielt an: 1934 gewann Kurt Stöpel das Rennen, erst zwei Jahre zuvor hatte er mit Platz zwei bei der „Tour de France“ das beste deutsche Ergebnis aller Zeiten bis zu den Erfolgen von Jan Ullrich eingefahren. Horst Oldenburg gewann das Jubiläum 1964, und zehn Jahre später stand mit Dietrich Thurau einer der bekanntesten deutschen Profis ganz oben auf dem Podest. Da störte es kaum, dass die Streckenplaner die Fahrer bis weit in die 60er-Jahre sogar durch Düsseldorf schickten – ein Graus für viele Kölner.
Veränderungen der Neuzeit
Von den 1930ern bis zum Ende der 1980er-Jahre wurde „Rund um Köln“ mit wenigen Ausnahmen fast ausschließlich als Amateurrennen durchgeführt, was der Beliebtheit aber kaum einen Abbruch tat. Der neue Organisator Artur Tabat hielt auch nach seinem Amtsantritt 1973 lange an dieser Vorgehensweise fest, erst 1990 wurde das Rennen wieder für Profis geöffnet. Aus heutiger Sicht ein Segen, denn einige bekannte Namen auf der Siegerliste sorgten für großes Medienecho: Udo Bölts (1994), Erik Zabel (1996, 2004), Jens Heppner (1999), Steffen Wesemann (2000), Tom Boonen (2015) oder Sam Bennett (2014, 2018) – sie alle durften sich in Köln als Sieger feiern lassen.
Für den größten Rummel allerdings sorgte Jan Ullrich 2003 höchstpersönlich, als er nach privaten Problemen und einer positiven Doping-Probe im Trikot von „Coast“ (später „Bianchi“) in Köln sein Comeback startete und sich mit einer einsamen Fahrt den Sieg sicherte.
Auch „Rund um Köln“ blieb von den Doping-Schlagzeilen im Radsport nicht unberührt. 2007 sprangen nach den Skandalen bei der „Tour de France“ mehrere Großsponsoren ab, nur mit Mühe war ein Rennen 2008 möglich. Dieses wurde aufgrund von Schnee am Veranstaltungstag aber abgesagt. 2009 gingen die Teams aufgrund der Doping-Affären nur in Nationaltrikots an den Start. Seit 2010 ist das Rennen mit der HC-Kategorie 1.1 eingestuft, eine der schwersten überhaupt.
Es waren viele Höhen und Tiefen, die „Rund um Köln“ in seiner Geschichte durchlaufen hat. Jetzt, zum Abschied von Artur Tabat, steht das Projekt auf soliden Beinen, Alexander Donike will es in eine sichere Zukunft führen. 207 km waren bei der Austragung 2018 zu absolvieren, fast 2.000 ehrenamtliche Helfer waren am Renntag im Einsatz, 21 Teams mit insgesamt 147 Radprofis waren 2018 zu Gast. Die Zeiten haben sich definitiv geändert, aber „Rund um Köln“ ist auch bei seiner 102. Auflage auf gewisse Weise immer gleich geblieben: ein beeindruckendes, einzigartiges Radsport-Event in der Region.