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Köln.Sport

„Profis im Kopf“

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Beim angeordneten Gedränge (scrum) versuchen je acht Spieler des ASV Köln (schwarze Trikots) und des TSV Handschuhsheim den Ball mit den Füßen nach hinten zu schieben

Beim angeordneten Gedränge (scrum) versuchen je acht Spieler des ASV Köln (schwarze Trikots) und des TSV Handschuhsheim den Ball mit den Füßen nach hinten zu schieben

Die erste Mannschaft des ASV Köln spielt in der höchsten deutschen Spielklasse im Rugby und betreibt eine faszinierende Sportart, die dank der Weltmeisterschaft sogar in Deutschland einen echten Hype erlebt. 

Text und Bilder: Stefan Kühlborn

Wenn am 31. Oktober um 17 Uhr das Finale der Rugby-WM angepfiffen wird, blickt die ganze Welt nach London. Das Twickenham Stadium, für englische Rugby-Fans in etwa von so großer Bedeutung wie Wembley für Fußballer, ist Schauplatz des mit Spannung erwarteten Endspiels zwischen den Erzrivalen Neuseeland und Australien. 82.000 Zuschauer werden beim „größten Spiel, das die Welt je gesehen hat“ live im Stadion dabei sein. Einige von ihnen werden für die Tickets mehrere zehntausend Pfund bezahlt haben. Neuseeland gegen Australien. Dieses Duell hatten sich Fans und Experten gleichermaßen gewünscht, und viele von ihnen hatten es schon vor Turnierbeginn vorhergesagt. In einem WM-Endspiel sind die beiden Kontrahenten noch nicht aufeinandergetroffen. Beide Teams konnten die Weltmeister-Trophäe bereits zwei Mal stemmen, würden mit Sieg Nummer drei Geschichte schreiben. Sollten die „All Blacks“ aus Neuseeland gewinnen, wäre es das erste Mal in der 28-jährigen WM-Geschichte, dass eine Mannschaft den Titel verteidigt.

Die Rugby-WM ist mit rund vier Milliarden Zuschauern das drittgrößte Sportevent der Welt (nach Fußball-WM und Olympischen Spielen) und ist das sportliche Großereignis im Jahr 2015. Insgesamt sechs Wochen kämpften 20 Nationen um den Finaleinzug. Das Endspiel wird in 200 Länder live übertragen, dank Spartenkanal Eurosport auch in Deutschland. Die ersten beiden Spiele dort sahen in der Spitze 260.000 deutsche TV-Zuschauer. Für eine Sportart, die im Land, wo König Fußball über allem thront, ein absolutes Nischendasein fristet, ein bemerkenswerter Erfolg. Zuletzt berichtete gar das heute journal von der WM. Zwar wurde vor dem zweiten Weltkrieg auch in Deutschland sehr erfolgreich Rugby gespielt. Als englische Sportart, die insbesondere Fairness und Respekt gegenüber dem Kontrahenten voraussetzt, hatte es Rugby zu dieser Zeit aber schwer. Der Sport wurde nicht gefördert und verschwand so in der Bedeutungslosigkeit.

Am Samstag wird das Spiel jedoch auch in Köln für große Aufmerksamkeit sorgen. Nicht nur in den zahlreichen Irish Pubs, die während der vergangenen sechs Wochen regelmäßig Anlaufpunkt für Fans aus aller Welt waren, sondern auch im Rugby Park des ASV Köln findet ein großes Public Viewing statt. Seit 1951 wird unter dem Logo des ASV in der Domstadt Rugby gespielt. Aktuell gehört die erste Mannschaft im dritten Jahr der Süd/West-Staffel der zweigleisigen 1. Bundesliga an. Zwar stehen die Kölner nach sechs Spieltagen auf dem letzten Tabellenplatz, doch statt Frust dominiert am Militärring Zuversicht. Es herrscht Aufbruchstimmung.

Die erste Herrenmannschaft des ASV Köln spielt in der 1. Bundesliga Süd/West gegen starke Konkurrenz

Die erste Herrenmannschaft des ASV Köln spielt in der 1. Bundesliga Süd/West gegen starke Konkurrenz

„Die Entwicklung ist absolut positiv. Bei uns bewegt sich eine Menge“, sagt Abteilungsleiter Alexander Terörde und verweist mit Stolz auf zwei alte Grillhütten, die die Spieler in Eigenarbeit auf Vordermann gebracht haben. Statt als Verkaufsstätte für Würstchen und Bier dienen sie nun als Fitnessräume und werden von allen drei Herrenteams sowie den Damen genutzt. Zwischen Stangen und Gewichten ist Viktor Shaw in seinem Element. Seit Ende der letzten Saison ist der Sportstudent als Athletik-Trainer fester Bestandteil des Teams und arbeitet bis zu vier Mal pro Woche mit den Spielern an den körperlichen Grundlagen. Wer die Stars der Rugby-WM sieht, der bekommt angesichts der muskelbepackten Top-Athleten schnell einen Eindruck davon, wie wichtig das Workout mit dem Fitnesscoach ist. „Eine enorme Ganzkörperspannung ist essentiell“, erklärt Shaw. Weil es, beispielsweise im Vergleich zum American Football, deutlich weniger Unterbrechungen gibt, müssen die Spieler neben viel Schnellkraft auch eine gehörige Portion Ausdauer mitbringen.

Experten im Austausch: Der Franzose Eric Daniel (li.) ist beim ASV als hauptamtlicher Rugby-Trainer fest angestellt. Der ehemalige Spieler Viktor Shaw unterstützt das Team wegen mehrerer Schulterverletzungen nicht mehr auf dem Feld, sondern als Athletiktrainer

Experten im Austausch: Der Franzose Eric Daniel (li.) ist beim ASV als hauptamtlicher Rugby-Trainer fest angestellt. Der ehemalige Spieler Viktor Shaw unterstützt das Team  als Athletiktraine

Um dies, nebenTechnik und Taktik, in ausreichendem Maße trainieren zu können, dauern die Trainingseinheiten mindestens drei Stunden. „Das ist nicht optimal. Aber die Jungs sind nunmal keine Profis, die morgens und abends trainieren können“, sagt Trainer Eric Daniel. Dem auf Korsika geborenen Franzosen macht in seiner Sportart so schnell niemand etwas vor. Als ehemaliger deutscher U-Nationaltrainer, belgischer Meister sowie Deutscher 7er-Meister und Pokalsieger ist Daniel 2013 zum ASV gekommen. Seit dieser Saison ist er als hauptamtlicher Trainer beim Verein angestellt. Ein weiterer Schritt in Richtung Professionalisierung der Rugby-Abteilung.

Steffen Abel spielt beim ASV den letzten Mann und steht im erweiterten Kader der 7er Nationalmannschaft

Steffen Abel spielt beim ASV den letzten Mann und steht im erweiterten Kader der 7er Nationalmannschaft

Unter Profi-Bedingungen wird in Deutschland zwar gespielt, das allerdings lediglich bei einem Verein in Heidelberg. Als älteste Universität Deutschlands zog Heidelberg seit jeher Studierende aus ganz Europa an. Insbesondere Engländer und Franzosen brachten ihren Nationalsport Rugby mit nach Baden-Württemberg. Da Rugby vor allem im Winter von Ruderern gespielt wurde, ist es nicht verwunderlich, dass der deutsche Serienmeister auf den Namen HRK (Heidelberger Ruder-Klub) hört. Gegen diesen unter Profi-Bedingungen spielenden Verein kassierte der ASV im September eine 3:115-Klatsche. Dies blieb, anders als in den Vorjahren, aber die bislang einzige deutliche Niederlage für die Kölner. Gegen den Deutschen Vize-Meister aus Pforzheim verlor man sogar nur äußerst unglücklich in allerletzter Minute. „Wir sind ein sehr unangenehmer Gegner geworden“, weiß Daniel, dessen Team zwar noch keinen Sieg verbuchen konnte, aber immerhin schon drei Defensivpunkte machte, weil sie nur mit sieben Punkten oder weniger unterlagen. Eine Entwicklung, die noch im letzten Jahr undenkbar schien.

Ebenso als nicht möglich galt bis zuletzt auch, was im September als größte Sensation in die Geschichte des Rugby World Cup einging. Tatsächlich gelang es dem krassen Außenseiter Japan in der Vorrunde die mächtigen „Springbocks“, das Nationalteam Südafrikas, zu besiegen. So etwas hatte es nie zuvor gegeben. „Als ich das hörte, habe ich nur gedacht, die wollen mich verarschen“, so Daniel. „Es ist aber erkennbar, dass die Abstände kleiner werden. Die Favoriten haben es mittlerweile nicht mehr so leicht.“ Kleine Mannschaften wie Japan oder der ASV Köln haben aufgeholt.

„Wir haben einen gigantischen Schritt gemacht und uns den Respekt der Gegner verdient. In den Vorjahren waren wir immer nur Aufbaugegner und Punktelieferant, jetzt ist es deutlich schwerer geworden, uns zu schlagen“, sagt auch Steffen Abel nicht ohne Stolz. Er trägt beim ASV die Nummer 15 und spielt als letzter Mann eine Art Libero. Zudem steht er im erweiterten Kader der deutschen 7er-Nationalmannschaft. Anders als beim Union-Rugby, der Variante mit 15 Spielern pro Team, wie sie aktuell bei der WM gespielt wird, spielen beim 7er Rugby sieben Spieler pro Mannschaft 2×7 Minuten gegeneinander. Nachdem die deutsche Auswahl bei einem Turnier in Australien zuletzt nur knapp Neuseeland unterlag, muss das Turnier in Hongkong im Frühjahr 2016 gewonnen werden, damit die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rio noch gelingt. „Das wird schwer, ist aber nicht unmöglich“, sagt Abel.

Eine Olympiateilnahme  einer deutschen Rugby-Mannschaft wäre für die Popularität des altehrwürdigen Sports in Deutschland mit Sicherheit hilfreich. Beim ASV geht die Entwicklung aber bereits jetzt in die richtige Richtung: Rund 280 Mitglieder umfasst die Abteilung aktuell. Besonders im Nachwuchsbereich tut sich eine Menge. Waren es vor einem Jahr nur etwa zehn Mitglieder, spielen mittlerweile fast 70 Kinder regelmäßig Rugby. Fast täglich stehen neue Spieler am Platz, weil sie ausprobieren wollen, was im Fernsehen so wild und doch ästhetisch aussieht. „Der Hype um die WM ist erkennbar. Die Außenwirkung ist auf jeden Fall deutlich größer, als wir uns das erträumt hätten“, sagt Abel. Und sein Trainer weiß: „Jetzt, wo die Aufmerksamkeit da ist, müssen wir uns gut verkaufen.“

Dem ASV gelingt dies im Spielbetrieb immer besser. Auch weil professionellere Strukturen bessere Spieler anziehen. Statt wie noch vor zwei Jahren mit einem Spielertrainer zwei Mal pro Woche zu trainieren, haben sich Umfang und Qualität deutlich gesteigert. Rugby spielt im Tagesablauf der Spieler eine immer größere Rolle. „Wir sind Profis im Kopf“, sagt Abel. Das Ergebnis von so viel Leidenschaft begeistert sogar wahre Rugby-Experten wie Morne Laubscher. Der Südafrikaner hat in seinem Heimatland auf höchstem Niveau gespielt und kam der Liebe wegen nach Köln, wo er als Lehrer arbeitet und für den ASV spielt. „Ich war überrascht und hätte nicht gedacht, dass das Niveau so gut ist“, beschreibt Laubscher, der als kleiner Junge mit dem Sport aufwuchs.

Seite 2: Kameradschaft, Respekt und „Düsseldorfer“

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