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Köln.Sport

Mut zum Risiko

Seit einem Jahr trainiert Peter Bosz die Werkself und zieht seitdem knallhart seine Philosophie durch. Auch wenn längst nicht alles funktioniert, wie sich der Niederländer das wünscht, bekommt er von den Bayer-Bossen die Zeit, seine Mannschaft zu entwickeln. Der Grund: Vertrauen

Der Niederländer Peter Bosz ist seit einem Jahr Bayer-Trainer. Bleiben will er nur, wenn sich der Verein weiterhin hohe Ziele steckt (Fotos: imago images/Jan Hübner)

In der Brust von Peter Bosz schlagen zwei Fußball-Herzen. Eines dominierte, als Bosz selber noch aktiv und als defensiver Mittelfeldspieler in erster Linie darauf bedacht war, Tore zu verhindern. Das andere dominiert jetzt, in Boszs zweiter Karriere als Trainer – und es schlägt schneller, je näher seine Mannschaft dem gegnerischen Tor kommt.

Bosz-Fußball ist totaler Offensivfußball, in dem das Risiko regiert und Fehler erlaubt sind. Mit seinem Stil hat der Niederländer bei Ajax Amsterdam eine Ära initiiert, die sein Team 2016/17 ins Finale der Europa League führte und die in der vergangenen Saison – als der 56-Jährige schon längst nicht mehr in der niederländischen Metropole arbeitete – unter dem neuen Coach Erik ten Haag beinahe mit der Finalteilnahme in der Champions League ihren Höhepunkt gefunden hätte.

„Wenn ich als Trainer eine gute Zeit auf der Bank habe, dann haben die Fans das sicher auch“

Zu Ajax-Zeiten wie auch heute gilt: Wer Bosz von der Leine lässt, muss mutig sein. Und ihm eine Menge Vertrauen entgegen bringen. In Leverkusen tut man aktuell genau das, und auch, wenn die Ergebnisse nicht immer stimmen – langweilig wird es selten, wenn die Elf des Niederländers den Platz betritt: „Wenn ich als Trainer eine gute Zeit auf der Bank habe, dann haben die Fans das sicher auch“, sagte Bosz einst gegenüber der Süddeutschen Zeitung.

Unterm Bayerkreuz sind sich die Verantwortlichen sicher, dass die Chancen auf eine „gute Zeit“ auch in Zukunft bestehen. Und so will man an der Dhünn in der anstehenden Winterpause den Vertrag mit dem Niederländer gerne verlängern – das aktuelle Arbeitspapier des Fußballehrers läuft im Juni 2020 aus.

Weiter konkurrenzfähig

Doch Bosz stellt für die Verlängerung klare Bedingungen und will dem Vernehmen nach nur dann weiter unterm Bayerkreuz arbeiten, wenn auch in Zukunft sportlich ambitionierte Ziele formuliert werden. Dafür braucht es natürlich einen konkurrenzfähigen Kader. Da der Abgang von Wunderkind Kai Havertz zur kommenden Saison als so gut wie sicher gilt und auch der chilenische Mittelfeldmotor Charles Aranguiz seinen Vertrag bislang nicht verlängert hat, steht den Leverkusenern aber unter Umständen ein größerer Umbruch bevor.

Es scheint dennoch schwer vorstellbar, dass Rudi Völler, Simon Rolfes & Co. den Wünschen ihres Trainers nicht nachkommen werden. Schließlich liegt alleine der Marktwert von Jung-Nationalspieler Havertz (Vertrag bis 2022) bei 90 Millionen Euro. Einen beträchtlichen Teil des Transfererlöses wird man reinvestieren können. Das Anforderungsprofil für neue Spieler ist dabei klar definiert: Wer im Bosz-System seinen Platz finden will, muss aggressiv und schnell spielen und außerdem eine gewisse Risikobereitschaft mitbringen.

Einfluss einer Legende

Wie es bei vielen niederländischen Trainern der Fall ist, ist auch die Spielphilosophie des in Apeldoorn geborenen Fußballlehrers von einem der ganz Großen maßgeblich beeinflusst: Johan Cruyff. Kurz vor dem Tod der Barca- und Ajax-Legende hatte Bosz die Möglichkeit, mit Cruff ausführlich über Fußball und verschiedene Spielphilosophien zu sprechen und sagte im Anschluss, er habe „eigentlich nur zugehört und dabei so viel gelernt, dass es für die nächsten zehn Jahre reicht.“

Cruyffs Fußball war, wie es der von Boszs zweitem Vorbild Pep Guardiola noch immer ist, von schnellem Offensiv-Fußball geprägt. 4-3-3 ist auch bei ihm das bevorzugte System, in dem möglichst viele Torchancen kreiert werden sollen, wo nach Ballverlust aber auch mit vollem Tempo verteidigt werden muss. Gerade das gelingt der Bayer-Elf unter Bosz aber noch zu unregelmäßig und neben zu vielen vergebenen Torchancen war die fehlende Konstanz über weite Strecken der Hinrunde das größte Problem der Werkself. Gelingt die schnelle Rückeroberung des Balles nicht, verliert Bayer häufig zu schnell den roten Faden.

Geliebte Spielphilosophie

Dennoch wird Bosz unterm Bayerkreuz sehr geschätzt, nicht nur von den Verantwortlichen, sondern auch von den Spielern. Der Niederländer gilt als Trainer, der die individuelle Entwicklung seiner Profis fördert. „Bessermacher“ nennt man einen wie ihn im modernen Fußball. Einer der Spieler, die Bosz besser gemacht hat, ist der brasilianische Außenverteidiger Wendell. Über ihn sagte der Coach vor wenigen Monaten: „Wenn er konzentriert ist, dann hat er Qualität.“

Um den Fokus des Brasilianers auf die wichtigen Dinge im Fußball zu lenken, wurde er von Bosz in den Mannschaftsrat berufen, außerdem soll er sich um die Integration von PSG-Neuzugang Moussa Diaby kümmern. Wendell steht symbolisch für die gesamte Leverkusener Mannschaft – es funktioniert längst nicht alles, doch die Spielphilosophie des Trainers sorgt für Begeisterung.

„Wenn wir den Ball haben, bin ich glücklich“

„Fußball, so wie er mir gefällt, wird immer mit Risiko gespielt und der Stil des Trainers passt perfekt zu meiner Art. In Brasilien war ich es gewohnt, offensiven Fußball zu spielen und Spaß dabei zu empfinden. Wenn wir den Ball haben, bin ich glücklich – wie auch der Trainer.“, erklärte Wendell im Interview mit RP Online.

Doch dass Bayer nach dem 14. Spieltag nur sechs Punkte Rückstand auf die Tabellenspitze hat, ist eben nicht nur der eigenen Stärke, sondern auch der Schwäche der Gegner zuzuschreiben. Sollte Bayer vor den (Tabellen-)Nachbarn aus Dortmund, Schalke die nötige Konstanz ins Spiel zurückbringen können, kann die bislang ordentliche Saison noch zu einer richtig guten werden. Der aktuelle Trend spricht nach Siegen über „Königsblau“ und den Rekordmeister aus München für Leverkusen. Gut möglich also, dass sich das Risiko auszahlt – und Bosz das Vertrauen in ihn gerechtfertigt.