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Köln.Sport

„Man bewegt sich in einem Minenfeld“

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Ende 2016 wurden die Rahmenbedingungen für die Spitzensportreform beschlossen. Haben Sie das Konzept komplett gelesen?

Ja, habe ich.

Glauben Sie, dass viele andere Athleten das auch getan haben?

Nein.

Im Konzept heißt es, es sei auch in Zusammenarbeit mit Athleten erarbeitet worden. Wussten Sie, an wen Sie sich hätten wenden müssen, um Einfluss zu nehmen?

Max Hartung (Säbelfechter, Anm. d. Red.) ist Vorsitzender der Athletenkommission im DOSB, Martina Strutz ist unsere Ansprechpartnerin im DLV. Die Spitzensportreform war immer das große, schwarze Monster, das auf uns alle zugekommen ist. Ich erinnere mich aber an niemanden, der mir erzählt hätte, er sei zum DLV, zum DOSB oder zur Sporthilfe gegangen und hätte dort seine Anregungen für die Reform mitgeteilt.

Hätte man das aber nicht tun müssen?

Klar. Das hätten am besten alle gemeinsam getan. Es gab ja hier und da, auch bei uns Leichtathleten, einige, die sich in letzter Zeit laut geäußert haben und ihre Unzufriedenheit kundgetan haben. Das ist natürlich gut, weil es noch mal aufrüttelt, und die Aufmerksamkeit kam ja auch. Es müssten aber alle zusammenhalten und geschlossen sprechen. Vielleicht ist dafür die Lethargie aber ein bisschen zu groß. Viele Topleute sind bei der Polizei oder bei der Bundeswehr und ziehen es vielleicht vor, sich keinen Stress zu machen.

Fehlt es an der Bereitschaft der starken Athleten, sich für die schwächeren einzusetzen?

Nicht bei allen. Gerade über das Thema Geld redet aber niemand so gerne, und viele wollen nicht riskieren, in einem schlechten Licht dazustehen und wollen keinen Streit vom Zaun brechen, der sich negativ auf sie oder ihre Förderer auswirken könnte. Es ist aber auch schwierig. Man bewegt sich in einem Minenfeld. Was man sagt, kann auch falsch verstanden werden. Einige sind dann eben nicht dazu bereit, ihren guten Stand zu riskieren.

Sie haben vorhin auf einzelne Äußerungen und damit wahrscheinlich auf die Wutrede von Matthias Bühler während der WM angesprochen. Er musste sich dafür auch aus Reihen der Leichtathleten Kritik gefallen lassen, unter anderem jüngst von Gina Lückenkemper. Wie haben Sie seine Äußerungen aufgefasst?

Grundsätzlich fand ich gut, dass das Thema zur Sprache und damit ein Teil – ich sagte bewusst: ein Teil – der Wahrheit ans Licht kam. Die großen Zeitungen haben berichtet und es wurde bekannt, wie es bei einzelnen Athleten wirklich aussieht. Andererseits war ich überrascht, wie sehr sich Matthias von seinen Emotionen hat leiten lassen. Es wäre vielleicht besser gewesen, das ein bisschen professioneller herüberzubringen. Aber er kam eben auch gerade erst von seinem Lauf, hat zwei Wettkampftage lang alles aus sich herausgeholt. Das darf man nicht vergessen.

Kann es auch anders funktionieren als mit Förderung von Bund oder Verein?

Ich bin dafür vielleicht ein gutes Beispiel. Es hängt sicher auch von jedem selber ab, wie man sich sein Leben als Leistungssportler aufbaut. Es gibt immer irgendwelche Optionen. Ich mache mir gerade auch Gedanken, was passiert, wenn ich nicht mehr im Kader sein sollte. Ich habe beispielsweise schon ein Jobangebot bekommen und auch Gespräche über mögliche Ausgleichsförderungen geführt. Ich bin der festen Überzeugung, dass man sich ein Finanzierungsnetzwerk aufbauen kann, wenn man den nötigen Ehrgeiz und die richtige Einstellung hat.

Wasser auf die Mühlen derer, die nur die absolute Spitze fördern wollen?

Kann sein. Meinen Leistungsbereich findet man auch in ganz vielen anderen Disziplinen wieder. Da sind sicher viele Leute dabei, die einfach aus der Förderung herausfallen, die nebenbei arbeiten müssen, ihr Studium nicht mehr in der Art und Weise wie bislang fortsetzen können und schließlich Sport als Hobby betreiben. Manche kommen vielleicht durch, viele fallen aber raus, wenn es nur einen kleinen Kreis von Athleten gibt, der gefördert wird. Das ist zu elitär und damit nicht das, was meiner Meinung nach den Leistungssport ausmachen sollte. Auch die Plätze vier bis acht bei Deutschen Meisterschaften sind ein Erfolg und sollten als solcher betrachtet werden.

Können Sie die Ansätze, den Fokus auf eine bessere Medaillenausbeute legen zu wollen, dennoch auf eine Art nachvollziehen? In Großbritannien haben im Vorfeld der Olympischen Spiele 2012 in London ähnliche Umstrukturierungen zu insgesamt 65 Medaillen geführt.

Wenn ich Politiker wäre oder an der Spitze des DOSB stünde, würde ich auch darüber nachdenken, wie man mehr Medaillen gewinnen kann. Die Förderung aber auf den kleinsten Kreis von Athleten und Jugendlichen zu konzentrieren, die vielleicht in vier oder acht Jahren bei Olympia dabei sind – vielleicht aber auch nicht – halte ich für falsch. Ebenso wie die Konzentration von Disziplinstandorten in bestimmten Regionen. Wenn man beispielsweise nach Frankfurt an der Oder ziehen muss, um bestmögliche Bedingungen zum Bahnradfahren zu haben – um mal ein Beispiel von außerhalb der Leichtathletik zu nennen– werden dazu nicht alle bereit sein. Es hat an vielen Eliteschulen des Sports vorher gut funktioniert, Talente zu fördern. Natürlich kann ich verstehen, dass man das ausbauen muss. Aber zu sagen: Ihr kriegt weniger Geld und sollt trotzdem mehr Medaillen gewinnen, obwohl wir Kaderplätze einstampfen und uns auf einen winzigen Kreis von Athleten fokussieren, halte ich für ziemlich radikal.

Fehlt in Deutschland grundsätzlich die Akzeptanz für Leistungen, die unterhalb der Weltklasse liegen?

Nicht, wenn wir mit dem DLV bei Meisterschaften sind. Dort wird uns schon immer das Gefühl vermittelt, ein wichtiger Teil des Teams zu sein. Gesamtgesellschaftlich ist das schwieriger. Wenn ich gesagt bekomme, dass wir mit der Staffel am Ende ganz schön „abgekackt“ sind, aber niemand in der Lage ist einzuschätzen, dass die Schlussläuferinnen der anderen Staffeln Einzelbestleistungen haben, die fliegend zwei bis drei Sekunden schneller sind als unsere, ist das einfach unverhältnismäßig. Wir können dann trotzdem gute Leistungen abgeliefert haben, stehen aber unter Umständen schlecht da, weil nur der direkte Vergleich beurteilt wird. Da fehlt es an vielen Stellen an Fachkenntnis.

Ein Szenario für die Zukunft: Bei Deutschen Meisterschaften treten in jeder Disziplin drei starke gegen 30 schwache Athleten an. Realistisch oder übertrieben?

Mit der Reform ein realistisches, ohne sie ein unrealistisches Bild (lacht). Nein, im Ernst: Es gibt natürlich immer klare Favoriten, die sich um die Medaillen streiten. Das ist seit Jahren so und in allen Disziplinen ähnlich. Natürlich gibt es immer wieder die Jungen, die überraschen können. Das ist gut und belebt das Geschäft. Aber: Wenn die Reform greifen sollte, werden nur die Guten alle Möglichkeiten haben.

Ein abschließender Blick in Richtung Heim-EM in Berlin 2018. Überwiegt die Freude auf das Riesenereignis oder die Sorge, sich, auch aufgrund eventuell wegfallender Förderung, nicht qualifizieren zu können?

Gerade gehe ich einen Schritt nach dem anderen an. Ich muss abwarten, ob in dem Brief, der im Oktober kommt, steht, dass ich im Kader bin oder eben nicht. Dann werde ich alles planen: ob ich arbeiten gehen muss oder ob es andere Finanzierungsmöglichkeiten gibt. Aber natürlich ist Berlin allgegenwärtig, schon seit bei Olympia in Rio der letzte Startschuss gefallen ist. Es ist auch großartig, was die Marketingabteilung für eine tolle Werbung macht. Natürlich freue ich mich. Ich werde auch hinfahren, falls ich nicht laufen sollte. Jetzt gerade schwingt aber noch die Angst mit, ob ich Athlet mit Zukunft bleibe, oder ob ich mir diese Zukunft selber bauen muss.

Das Interview führte Daniel Becker vom Magazin Leichtathletik

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