EM-Tagebuch, Tag 6
- Updated: Juni 14, 2012
Was ist los, Köln? Wo bleibt die große EM-Stimmung? Und wo sind all die Fans, die sonst regelmäßig in Müngersdorf für Party und Karnevals-Atmosphäre sorgen? Alle nach dem FC-Abstieg in Lethargie gefallen? Da läuft der Klassiker Deutschland – Holland, und die Stimmung ist mitunter wie im heimischen Wohnzimmer, wenn man selbst nicht da ist. Doch der Reihe nach: Der Körper verlangte nach einem frisch gezapften kühlen Blonden, was signalisierte, dass alles wieder okay ist und die EM-Tour durch die Stadt fortgesetzt werden kann. Und wieder ging’s nach Ehrenfeld. Der nicht ganz so rosigen Wetterprognose folgend, wurde die Priorität heute auf Rudelschauen drinnen gelegt. Daher erst mal zum „Underground“, das laut Eigenwerbung nicht nur die deutschen Spiele (wie so viele Lokalitäten), sondern alle EM-Spiele überträgt. Hier begehrten etwa 10 Minuten vor Anpfiff des „Vorspiels“ Dänemark – Portugal rund 30 Besucher Einlass, wurden jedoch per Türsteher am Zugang gehindert, da noch aufgebaut und sauber gemacht wurde. Da kam wohl der tägliche 18 Uhr-Anpfiff heute zu plötzlich… Na gut, exakt um 17.59 Uhr wurden dann doch alle eingelassen.
Die „Underground“-Betreiber haben ihre Hausaufgaben professionell erledigt. Große regengeschützte Leinwand im Biergarten (wenn auch mit spiegelverkehrtem Bild – fiel spätestens beim Trikot-Namenszug auf), dazu einige TV. Drinnen alle Räume mit Bierbänke versehen und ordentliche Sicht. Getränke leider etwas überteuert, aber das ist man ja von Konzerten gewohnt. Mit Beginn der 2. Halbzeit füllten sich die Räume zusehends, leider jedoch überwiegend mit „Event-Publikum“, das alle zwei Jahre während einer WM oder EM mal für drei, vier Wochen Fußball total „supi“ findet. Dazwischen einige „1-Tag-Dänemark-Fans“ (das sind die, die die Skandinavier spätestens beim nächsten Spiel wieder total blöd finden) und Leute, die zunächst mal ne Runde „Kaate kloppten“. Ohoh. Das bunt beschmückte und hübsch zurecht gemachte Event-Publikum, meistens Frauen Anfang 20, hatte dann auch „schon“ kurz vor Spielende herausgefunden, dass die Portugiesen „die in den weißen Trikots“ sind, weil dort „doch der süße Ronaldo spielt“. Okay, ich wollte ohnehin die Örtlichkeit wechseln.
Also rüber zur „Live Music Hall“. Die Halle war bereits proppevoll. Weit über 1000 Zuschauer auf den zahllosen Bierbänken, Barhockern, Fußboden und an den drei Theken. Schnelles und aufmerksames Personal sorgte für keine langen Warteschlangen; auch der Preis fürs Kölsch (4 € für 0,5 l vom Faß) ist noch im Rahmen. Dazu eine riesige Leinwand über der Bühne, die auch bis zur letzten Reihe beste Sicht versprach. Ordentlich!
Es passte eigentlich alles – nur auch hier wieder das Publikum nicht. Bis auf eine ca. 40 Mann starke Truppe, die immer wieder versuchte, Stadionatmosphäre in die Halle zu bekommen, wurde vom überwiegenden Teil das Spiel still konsumiert, das auch nicht einer gewissen Anspannung geschuldet werden konnte. Während der Hymnen blieben viele einfach sitzen, sangen erst gar nicht mit und drehten sich eher verärgert zu den 40 „Ruhestörern“ um. Jubel bei den Toren, sporadisches vereinzeltes Anfeuern – das wars. Stattdessen fluchtartiges Verlassen der Halle nach dem Schlusspfiff, keine Party, nix. Bierbänke wurden umgeklappt und eingesammelt – um kurz nach 23 Uhr war hier der Sieg gegen den holländischen Erzrivalen schon fast vergessen. Großartige EM-Stimmung? Auch am 6. Tag Fehlanzeige. Oder bin ich immer just am falschen Ort?
Draußen auf der Venloer Straße gab es zwar Hupkonzerte und Autokorso, doch folgt dies ja inzwischen auch eher einem Automatismus und weniger einem spontanen Gefühlsausdruck. Hat man ja auch schon nach einem FC-Sieg am 8. Spieltag oder dem „Eurovision Song Contest“ erlebt. Gilt also nicht.
Fazit des Tages: Wer kein Problem damit hat, Fußball mit einem jüngeren Event-Publikum und Gelegenheitsfans zu schauen, ist im „Underground“ und der „Live Music Hall“ gut aufgehoben, zumal ausreichend Platz und genügend TV-Sichtfläche vorhanden ist. Wer stattdessen mehr oder weniger regelmäßiger Stadiongänger ist und Stadionatmosphäre sucht, sollte es doch eher woanders probieren.