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Köln.Sport

„Der FC ist mein Herzschlag“

Happy Birthday, „Tünn“! FC-Vizepräsident Toni Schumacher wird heute 65 Jahre alt – zu diesem Anlass gibt es hier noch einmal das Interview, das wir 2018 zum 70. Geburtstag des 1. FC Köln mit ihm geführt haben!
Tünn

Die Zeiten (und Frisuren) ändern sich, das Gefühl bleibt: Toni Schumacher feiert heute seinen 65. Geburtstag. (Foto: imago/Frinke)

Der 1. FC Köln ist 70 Jahre alt geworden – von der großen Historie zeugt derzeit eine Sonderausstellung im Deutschen Sport & Olympia Museum. Doch wie so häufig, sind es nicht Exponate oder Bilder, die die Geschichte am Besten transportieren, sondern die Menschen, die sie erlebt haben. Harald Schumacher, gemeinhin „Toni“ genannt, ist einer davon. 1972 kam er zu den „Geißböcken“ und erlebte dort in 541 Pflichtspielen alle Höhen und Tiefen. Und selbst der Rausschmiss 1987 aufgrund seines Skandalbuches „Anpfiff“ konnte die Liebe zu seinem „feinen Club“, wie er selbst sagt, nicht dauerhaft beschädigen. 25 Jahre später kehrte der einstige Weltklassetorhüter zurück zum Effzeh, als Vizepräsident. Die FC-Historie ohne Toni Schumacher – undenkbar! In Köln.Sport spricht er anlässlich des 70-jährigen Jubiläums über die Entwicklung seines Herzensvereins in den letzten Jahrzehnten und über bewegende Jahre als Spieler und Funktionär – und bleibt sich dabei wie immer treu: ehrlich, direkt, authentisch.

Herr Schumacher, der 1. FC Köln feiert dieses Jahr seinen 70. Geburtstag. Sie sind zwar ein paar Jahre jünger als der Verein, gehören aber unbestritten zum Inventar. Was ist das für eine Beziehung zwischen Ihnen und dem 1. FC Köln?

Das ist eine einmalige Beziehung. Hier habe ich angefangen, Fußball zu spielen, bin Nationalspieler geworden, habe Pokalsiege und eine Meisterschaft gefeiert. Ich habe die sportlich größte Zeit des 1. FC Köln mitprägen können und hier als Aktiver 15 wunderbare Jahre verbracht. Heute bin ich als Offizieller dabei, als Vizepräsident, und auch da hatten wir lange sehr gute Zeiten. Zuletzt war es schwierig, aber das Auf und Ab gehört im Sport dazu.

70 Jahre 1. FC Köln – Sie selbst haben hochgerechnet zwei ganze Jahrzehnte davon als Spieler und Funktionär mitgeprägt und sind längst Teil der FC-Historie geworden. Ist Ihnen das immer so bewusst?

Dieser Verein hat viele herausragende Spieler in seiner Historie gesehen, angefangen bei Hans Schäfer und Wolfgang Overath, mit dem ich auch noch ein paar Jahre zusammengespielt habe. Viele meiner Team­kameraden waren ganz, ganz Große. Matthias Hemmersbach, Heinz Simmet, „Bulle“ Weber, Karl-Heinz Thielen, Heinz Flohe, Herbert Neumann … Ich könnte noch ewig so weitermachen. Das sind für mich alles FC-Legenden. All diese Spieler haben die Geschichte des Vereins, so wie ich auch, mitgeprägt. Da kann man sicher auch ein bisschen stolz drauf sein.

Toni Schumacher und der 1. FC Köln, war das eigentlich Liebe auf den ersten Blick?

Na ja, so ganz einfach war es am Anfang nicht, denn ich hatte ja schon vor meinem Wechsel 1972 Anfragen des 1. FC Köln bekommen und wollte gerne dorthin wechseln, allerdings hat meine Mutter das damals nicht zugelassen. Sie wollte, dass ich erst mal einen Beruf erlerne – „Okay“, habe ich gesagt, „dann such mir einen aus.“ (lacht). Ich habe eine dreieinhalbjährige Lehre als Kupferschmied angefangen, die im Mai 1972 mit der Gesellenprüfung endete. Zwei Monate später habe ich dann einen Vertrag beim 1. FC Köln unterschrieben. Der FC war damals ein absoluter ­Vorzeigeclub.

Sie sagen es, der FC war damals ex­trem erfolgreich, hatte etliche Nationalspieler in seinen Reihen. Wie fügt man sich da als junger Spieler ein?

Ja, diese Frage habe ich mir damals auch gestellt als kleiner Junge aus Düren, der jetzt beim großen 1. FC Köln spielen darf. Also bin ich zum ersten Training viel zu früh hingefahren und habe in der Kabine gewartet, bis die anderen dann nach und nach reinkamen. Jeder, der durch die Tür kam, hat mich natürlich gefragt: „Wer bist du denn?“ – „Ich bin der Harald Schumacher!“, habe ich dann geantwortet und so konnte ich mich bei jedem einzelnen direkt vorstellen. Danach war das Eis gebrochen, denn trotz ihrer großen Namen waren das alles Fußballer, die locker und offen miteinander umgingen. Sie haben mich hervorragend aufgenommen und von dem Moment an war der 1. FC Köln mein lieber und feiner Club, der er auch heute noch ist.

Was hat die Mannschaft in den 1970er Jahren ausgezeichnet?

Das war eine tolle Truppe, wir hatten zahlreiche Nationalspieler in unseren Reihen, waren fußballerisch eine erstklassige Mannschaft. Dennoch waren wir für lange Siegesserien nicht zu haben, es hat, aus welchen Gründen auch immer, nicht gepasst. Wir waren Mitte der 1970er zwar durchaus erfolgreich, haben aber keine Titel gewonnen. Erst Hennes Weisweiler­ ist es gelungen, das Maximum aus uns herauszuholen. Er hat uns klargemacht, dass mit so vielen guten Fußballern in der Mannschaft mehr drin sein muss, als ab und zu mal das Pokalfinale zu erreichen. So haben wir dann unter seiner Regie 1978 mit dem Double den größten Erfolg der Vereinsgeschichte geschafft.

Es folgte eine neue Ära, viele junge Spieler gaben der Mannschaft ein neues Gesicht. Wie haben Sie diesen Umbruch Ende der 1970er erlebt?

Da kamen plötzlich eine ganze Reihe Toptalente wie Bernd Schuster, Pierre Littbarski oder Stephan Engels in die Mannschaft, das war eine neue Generation. Mit vielen dieser jungen Spieler habe ich dann ja auch 1980 mit der Nationalmannschaft die Europameisterschaft gewonnen. Das war insgesamt eine tolle und sehr ehrliche Zeit, nicht vergleichbar mit dem jetzigen Fußballbusiness. Heute geht es mehr ums Geschäft, es geht um viel mehr Geld. Ich erinnere mich, dass wir unsere Mitgliederversammlung im Geißbockheim abgehalten haben mit etwa 300 Mitgliedern. Heute haben wir über 100.000 Mitglieder, da muss man schon die Lanxess-Arena buchen. Es ist alles viel, viel größer geworden, wir machen 150 Millionen Euro Umsatz, die Verantwortung der handelnden Personen ist entsprechend gestiegen.

Auch das Leben eines Fußballprofis hat sich im Vergleich zu ihrer Zeit sehr verändert …

Ja, definitiv. Heute ist alles transparenter, jeder hat ein Handy, alles ist sofort im Netz. Bei uns war es damals wesentlich lockerer. Ich erinnere mich daran, wie wir mit dem Bus aus Braunschweig abends um 23 Uhr am Geißbockheim ankamen, im Trainingsanzug und mit unseren Sporttaschen. Da haben wir dann spontan beschlossen, dass wir noch in die Stadt fahren. Vorher noch mal nach Hause, um uns umzuziehen, konnten wir nicht, dann hätten die Frauen uns ja nicht mehr rausgelassen (lacht). Also sind wir im Trainingsanzug in den Club gegangen und haben dort bis zwei oder drei Uhr gefeiert. Am Sonntagmorgen standen wir aber pünktlich auf dem Trainingsplatz. So etwas geht heute natürlich nicht mehr, da bist du direkt im Internet. Du bist viel gläserner geworden als Profi im Jahr 2017. Wir hatten damals viel Spaß zusammen, das haben die Jungs heute vermutlich auch, aber es ist anders geworden. Heute spielen sie auf der Konsole, das sind Dinge, die wir nicht kannten. Wir mussten uns die Zeit anders vertreiben, vor allem im Trainingslager. Wie oft kann man einen Tennisball hochhalten? Ich war mit Pierre Littbarski auf dem Zimmer und der hat immer vorgegeben. Ich musste dann nachlegen, bis ich mindestens einen mehr schaffte, dann war er wieder dran.

Und wer hat am Ende gewonnen?

Natürlich der Litti, der konnte das Ding ja stundenlang hochhalten! So haben wir uns die Zeit vertrieben, und hatten eigentlich immer viel Spaß dabei.

Die ein oder andere Wette soll es ja auch gegeben haben …

(lacht) Ja, mit Karl-Heinz Rummenigge habe ich jedes Spiel um 500 Mark gewettet, dass er kein Tor gegen mich schießt. Das Geld hatten wir immer im Stutzen, damit die Wette nach dem Spiel gleich beglichen werden konnte. Ich habe einen guten Schnitt, denn in knapp über 20 Spielen hat er nur neun Mal getroffen, also damit bin ich eigentlich ganz zufrieden.

Machen wir einen Sprung ins Jahr 1987: Da wurde die Liebe zum 1. FC Köln auf eine harte Probe gestellt. Nach der Veröffentlichung ihres Buchs „Anpfiff“ wurden Sie suspendiert. Den Fans hat das damals überhaupt nicht gepasst, wie blicken Sie auf diese Phase zurück?

Ich erinnere mich noch gut an die Plakate „Wo ist Toni?“ oder „FC ohne Toni ist wie Kölsch ohne Schaum“ – diese Zeitungsausschnitte habe ich alle noch zu Hause. Ich selbst habe die Suspendierung damals nicht verstanden, denn für mich ist der FC, meine Liebe, meine Leidenschaft, mein Herzschlag gewesen. Der Verein hatte mich ja zuvor schon einmal gesperrt, allerdings nur für ein Spiel. Auch da war ich enttäuscht, denn ich hatte mich gerade aufgemacht, eine Rekordserie von Sepp Maier zu brechen, der 442 Bundes­ligaspiele am Stück bestritten hatte. Aber dann wurde mir ein Interview zum Verhängnis. Einen Pressesprecher gab es damals ja noch gar nicht, also wurde alles so gedruckt, wie ich es gesagt hatte. Oder sogar noch etwas überspitzt. Ich habe alles versucht, damit sie mich spielen lassen. Ich wollte sogar 50.000 Mark Buße zahlen, damit man mich bloß nur spielen lässt, aber das wurde nicht akzeptiert, und so war meine Serie gerissen. Der richtige Rausschmiss kam dann 93 Spiele später. Aber, wenn die Liebe ehrlich und groß ist, kommt man auch immer wieder zurück.

Es hat allerdings ein bisschen gedauert, bis Sie wieder eine Funktion beim 1. FC Köln innehatten. Wann hat es denn wieder gekribbelt, wie kam es zur Rückkehr?

Eines Abends klingelte bei mir das Telefon, und es meldete sich jemand mit „Spinner“. – „Wie bitte?“ habe ich da geantwortet (lacht). Dann begriff ich, dass es Werner Spinner war. Eine halbe Stunde stand er bei mir vor der Tür, da war es schon nach 22 Uhr. Er hat mich sofort für diese Aufgabe begeistert. Ehrlich gesagt hatte ich schon lange gewartet, dass mich mal jemand fragt, ob ich nicht mithelfen möchte, den FC wieder zu einem „feinen Verein“ zu machen, wie meine Mutter immer gesagt hat. Als die Anfrage kam, war ich sofort Feuer und Flamme. Meine Frau wusste schon, bevor Werner Spinner überhaupt aus der Tür war, wie ich mich entscheiden würde. Ich hatte auch keine andere Chance. Ich habe mich 20 Jahre aufgeregt, dass nie einer gefragt hat, jetzt kam endlich einer, da musste ich es auch machen. Ich habe es bis heute nicht bereut!

„Spürbar anders“ ist seit einigen Jahren der Slogan des 1. FC Köln. Was macht den Verein für Sie so speziell?

Der 1. FC Köln war schon immer besonders, früher und auch heute. Deswegen passt auch das Motto unserer Jubiläums-Sonderausstellung so gut: Die Zeiten ändern sich, das Gefühl bleibt! Das beste Beispiel dafür ist doch unser Traditionstrikot anlässlich des 70. Geburtstages. Das wurde bereits am ersten Tag 2.500 Mal gekauft. Der Verein hat einerseits eine tolle Historie und andererseits treue Fans, die diese Tradition­ wertschätzen und einen großen Teil dazu beitragen, dass der 1. FC Köln einzigartig ist. Wenn man sich die Stimmung im Stadion anschaut: Das ist das, was diesen Club, ich würde sogar sagen, die ganze Stadt „spürbar anders“ macht.

Nun ist der FC 70 Jahre alt – Der kölsche Geburtstag wäre dann aber eher der 77. Wo sehen Sie den FC in sieben Jahren?

Ich wünsche mir, dass der FC dann eine feste Größe in der Bundesliga ist und etwas mehr nach oben schauen kann, als nach unten.