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Köln.Sport

Das Spiel des Jahres

Es ist alles bereitet für einen großen Pokalabend in Höhenberg. RB Leipzig kommt nach Köln, geht als haushoher Favorit ins Spiel. Doch ein Blick auf die Historie der Viktoria zeigt, dass der Verein rechts vom Rhein immer wieder für eine Überraschung gut ist.
Pokalhistorie

Der größte Pokal-Moment der jüngeren Vereinsgeschichte: 2015 warfen die Höhenberger Union Berlin aus dem Wettbewerb. (Foto: imago/Matthias Koch)

Franz Wunderlich ist angespannt. 20 Loskugeln sind noch im Topf, als er auf der Tribüne des Deutschen Fußballmuseums in Dortmund sitzt. Das Lokalderby gegen den 1. FC Köln? Leider nicht mehr möglich, die „Geißböcke“ sind kurz zuvor gezogen worden. Auch der Rekordmeister und -pokalsieger von der Säbener Straße ist schon vom Board, einige Hochkaräter aber noch in der Trommel. Fernsehmoderatorin Palina Rojinski wühlt kurz in dem Glasbehälter, zieht eine Kugel und übergibt sie an DFB-Präsident Reinhard Grindel.­ „So, jetzt kommt der Pokalsieger aus dem Mittelrhein: Viktoria­ Köln!“ Die Spannung in Höhenberg erreicht den Siedepunkt. Grindel öffnet die nächste Kugel, blickt darauf – und spricht von einem „sehr schönen Los für die Freunde aus Köln“, als er den Gegner für die erste Runde des DFB-Pokals 2018/19 verkündet: „RB Leipzig“.

Und wie es bei dieser Art von Fernsehübertragungen üblich ist, schwirrt Kultjournalist Arnd Zeigler im Dortmunder Museum umher, um auf Stimmenfang zu gehen. Bei Franz Wunderlich. „Aufstieg knapp verpasst, das hat wahrscheinlich wehgetan. Ist das jetzt ein großes Trostpflaster?“, fragt der Stadionsprecher von Werder Bremen. Wunderlich überlegt kurz. „Ja, ich denke schon. Wir freuen uns auf diesen attraktiven Gegner, und ich denke, dass das einige Wunden heilen wird“, sagt er in mit leichtem Kölsch durchzogenen Hochdeutsch. Man merkt dem Vizepräsidenten der Viktoria­ an, dass er die vergangene Spielzeit noch nicht ganz verdaut hat. Doch das ist jetzt Schnee von gestern. Es geht mit vollem Elan an die nächste Aufgabe.

Denn diese ist gleichzusetzen mit dem größten Spiel der Vereinsgeschichte von Viktoria Köln. RB Leipzig, vor zwei Jahren Bundesliga-Vizemeister, kommender Dauergast im europäischen Wettbewerb und mit Millionen finanziertes Großprojekt, kommt nach Höhenberg. Mit Nationalspielern, WM-Teilnehmern wie Timo Werner, Emil Forsberg oder ­Yussuf Poulsen. Mit dem Chef-„Bullen“ Ralf Rangnick an der Seitenlinie. Und mit Talenten, die schon jetzt mehr ­Millionen wert sind, als sie Lebensjahre auf dem Buckel haben. Innenverteidiger Dayot Upamecano (Alter: 19, Marktwert: 30 Millionen Euro) lässt grüßen.

Rehhagels Erkenntnis

Es ist das erste Mal, dass der Viert- und der Erstligist in einem Pflichtspiel aufeinandertreffen. Für die Viktoria ist es zudem die Rückkehr auf die DFB-Pokalbühne nach einjähriger Abstinenz, 2016/17 hat man zuletzt gegen den aktuellen Bundesligisten Nürnberg im Elfmeterschießen den Kürzeren gezogen. Die stets hoch ambitionierten Leipziger schieden im vergangenen Jahr bereits in der zweiten Runde aus, trafen dort aber auch auf den späteren Finalisten Bayern München. Dass RB als Favorit in die Partie geht, ist also kein Geheimnis – doch chancenlos ist der Verein rechts vom Rhein nicht.

Denn so alt und abgedroschen es klingt: Die Feststellung der Trainerlegende Otto Rehhagel, dass der Pokal schließlich seine eigenen Gesetze habe, steckt noch immer voller Wahrheit. Das zeigt auch ein Blick auf die Pokalhistorie der Viktoria, die in diesem Wettbewerb auch in der Vergangenheit immer wieder für die ein oder andere Überraschung gut war. Als SC Viktoria Köln, machten die ­Höhenberger im Pokal erstmals in der Saison 1974/75 auf sich aufmerksam – und trugen sich gleich in die Geschichte ein. In der ersten Runde wurden die Stuttgarter Kickers (damals 2. Bundesliga) mit 4:0 aus dem Stadion geschossen, der TSG Usingen ließ man in der zweiten Runde mit einem 6:1-Sieg keine Chance.

In der dritten Runde kam es zum Aufeinandertreffen mit Bundesligist Eintracht Braunschweig. Angeführt von Trainer Ernst-Günter Habig gewann die Viktoria die Partie auswärts, im Stadion an der Hamburger Straße, mit 2:1, Adalbert Fuhrmann und Lothar Richter erzielten die goldenen Tore. Es war der erste Sieg einer Amateurmannschaft gegen einen Bundesligisten in diesem Wettbewerb – überhaupt. Und auch wenn die magische Reise im Achtelfinale nach Hin- und Rückspiel gegen Borussia Dortmund endete (0:3, 0:0), die Viktoria hatte gezeigt, dass sie auf der großen Bühne immer für eine dicke Überraschung gut ist.

Die Bayern sind zu Gast

In den Folgejahren war dann entweder in der ersten oder zweiten Runde Schluss, dennoch gelang es den Kölnern in all den Jahren immer, sich zumindest teuer zu verkaufen. So auch, als der große FC Bayern München in der Saison 1979/80 in den Sportpark Höhenberg kam. Über 9.000 Zuschauer wollten sich die Partie nicht entgehen lassen und Stars wie Klaus Augenthaler, Paul Breitner, Dieter Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge sehen. Letztere waren es dann auch, die bereits nach einer guten Stunde auf 2:0 stellten, der damalige Zweitligist aus Köln schied trotz eines Anschlusstores von Bernhard Ochmann mit 1:3 aus.

Rummenigge

Einer der größten Momente der Viktoria-Pokalhistorie: Der FC Bayern München, hier mit Stürmer Karl-Heinz Rummenigge, war im September 1979 in Höhenberg zu Gast. (Foto: imago/Sven Simon)

Danach dauerte es jedoch ein wenig, bis die Rechtsrheinischen im DFB-Pokal die nächsten Erfolge feiern konnten. In der Saison 1991/92 stieg die Viktoria, damals in der drittklassigen Oberliga Nordrhein unterwegs, in der zweiten Pokalrunde ein und qualifizierte sich nach Siegen gegen Blau-Weiß Parchim (2:0) und Waldhof Mannheim (1:0) für das Achtel­finale. Dort warteten erneut die Stuttgarter Kickers, die, anders als in der für die Viktoria so erfolgreichen Pokalsaison 1974/75, diesmal das Duell für sich entscheiden konnten; sie gewannen mit 2:1 nach Verlängerung.

Damit endet auch ein Stück weit die Pokalhistorie des SC Viktoria Köln, zur Saison 1994/95 trat man als SCB Preußen Köln in der neugeschaffenen Regionalliga West/Südwest an, in Erinnerung an den berühmten Vorgängerverein Preußen Dellbrück. Das half jedoch nichts, nach dem sofortigen Wiederabstieg pendelte der Club fortan zwischen der Oberliga Nordrhein und der Verbandsliga Mittelrhein. 2010 folgte schließlich der Abstieg in die Landesliga – der inzwischen insolvente Verein trat dort jedoch nicht mehr an.

„Hut ab“

Vorhang auf also für die neue Viktoria. Als am 22. Juni 2010 mit dem FC Viktoria Köln ein Nachfolgeverein gegründet wurde, dauerte es dementsprechend auch nicht lange bis zur Rückkehr auf die Bühne DFB-Pokal. Und war 2014/15 noch in der ersten Runde gegen den Hauptstadtklub Hertha BSC Schluss (2:4), feierten die Höhenberger ein Jahr später einen der größten Pokaltriumphe der noch junge Vereinsgeschichte. Als Mitglied der Regionalliga West bezwangen Trainer Tomasz Kaczmarek und sein Team Zweitligist Union Berlin mit 2:1, nach Pausenrückstand drehten Mike Wunderlich und Jules Reimerink mit ihren Toren die Partie.

„Wir haben gewusst, wenn wir einen sehr guten Tag erwischen, dass wir eine Chance haben … und so einen Tag haben wir heute erwischt. Gegen einen Zweitligisten so zurückzukommen – Hut ab“, bilanzierte ein immer noch ungläubig wirkender Mike Wunderlich nach der Partie. Auch die Tatsache, dass es in der nächsten Runde gegen Bayer Leverkusen ein halbes Dutzend Gegentore gab und die Kölner sang- und klanglos ausschieden, konnte diesen Erfolg nicht schmälern.

Ihren Status als Pokalschreck hätte die Viktoria bereits ein Jahr später fast wieder unterstrichen: Im Duell mit dem 1. FC Nürnberg kam es in Runde eins zum Elfmeterschießen. Nach regulärer Spielzeit hatte es 1:1 gestanden, auch die ersten fünf Schützen jedes Teams verwandelten – und dann kam Kevin Holzweiler, dessen Schuss FCN-Keeper Raphael Schäfer halten konnte. Es sollte das vorerst letzte Kapitel in der Pokalhistorie der Viktoria bleiben, in der vergangenen Saison konnte man sich nicht qualifizieren.

„Vielleicht in der zweiten Runde?“

In diesem Jahr schon. Und mit RB Leipzig kommt ein Gegner, der sich im DFB-Pokal bislang noch nicht mit Ruhm bekleckert hat. Der „Brause-Klub“, wie er vielerorts hämisch genannt wird, verlor 2016/17 in der ersten Runde bei Zweitligist Dynamo Dresden, im vergangenen Jahr war in Runde zwei gegen Bayern München Schluss. Und überhaupt: In den vergangenen drei Jahren schafften es jede Saison sechs sogenannte Underdogs, einen haushohen Favoriten in der ersten Pokalrunde nach Hause zu schicken. Der 2:1-Sieg der Viktoria gegen Union Berlin vor zwei Jahren weckt entsprechende Hoffnungen. Das garantiert zwar keine Sensation – und eine solche wäre das Weiterkommen der Höhenberger definitiv –, macht ihnen aber Mut.

Ob mit RB Leipzig nun der Wunschgegner der Viktoria gezogen wurde, fragt Arnd Zeigler Franz Wunderlich, als er auf der Tribüne des Deutschen Fußballmuseums sitzt. „Der Wunsch war eigentlich mit Andi Rettig abgesprochen, und zwar, dass wir auf St. Pauli treffen“, sagt Wunderlich und grinst hinüber zum ehemaligen FC-Manager. „Das hat leider nicht geklappt.“ Arnd Zeigler überlegt kurz, was er antworten soll. „Vielleicht ja im nächsten Jahr – oder in der zweiten Runde?“ Wunderlich lächelt. „Vielleicht, ja.“