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Köln.Sport

Bayer 04: Jung und selbstbewusst

Der Kader von Bayer 04 Leverkusen strotzt vor Talent – trotzdem fliegt das Team aufgrund durchwachsener Vorbereitungsergebnisse und einem Wackelsieg am ersten Spieltag unter dem Radar. Hat die Werkself das Zeug zum Geheimfavoriten?
Nadiem Amiri

Zwei, die sich gut kennen: Bei der TSG Hoffenheim waren Amiri und Demirbay letzte Saison an 18 Toren beteiligt. (Foto: imago images / Uwe Kraft)

Den 21. Mai 2019 werden Bayer-Fans noch gut in Erinnerung haben. Oder besser gesagt schlecht. An diesem Dienstag nämlich gab Borussia Dortmund die Verpflichtung von Julian Brandt bekannt. In Leverkusen war der vielseitige Mittelfeldspieler zum Nationalspieler gereift, sein Abgang enttäuschte nicht nur die Anhänger, sondern auch die Clubverantwortlichen und die Teamkollegen. bitterer. Denn der Wechselwunsch des „Leverkusener Jung“ machte schmerzhaft deutlich, dass Bayer mit den absoluten Top-Clubs in Deutschland nicht konkurrieren zu können.

Rund drei Monate später allerdings trauert Julian Brandt in Leverkusen (fast) niemand mehr nach. Und das liegt vor allem an zwei Neuen: Kerem Demirbay und Nadiem Amiri. Dass Bayer 04-Sportdirektor Simon Rolfes nach Demirbay auch Hoffenheims zweites Mittelfeld-Ass zum Schnäppchenpreis von gerade einmal rund 9 Mio. Euro ans Bayer-Kreuz lotste, darf gewiss als Coup bezeichnet werden. „Nadiem Amiri ist dank seiner Schnelligkeit, Zielstrebigkeit, seines ausgeprägten Zugs zum Tor und hervorragender technischer Fähigkeiten genau der Typ Spieler, den wir für unseren Kader noch gesucht haben“, zählt Rolfes die Vorzüge seines Neuzugangs vor.

„Mir geht es um die Mannschaft“

Amiri (Vertrag bis 2024), der in der Jugend unter anderem für den 1. FC Kaiserslautern und Waldhof Mannheim kickte, bevor er sich dem Nachwuchsleistungszentrum der TSG Hoffenheim anschloss, bringt tatsächlich alles mit, um in der Bosz-Elf für Furore zu sorgen. Seine Entwicklung beeindruckt: Bei der TSG war er seit 2015 Bundesligaspieler, seit 2016 meist in der Stammelf. Mit der U21-Nationalelf wurde Amiri 2017 Europameister, scheiterte dieses Jahr im Finale nur knapp an Spanien.

Der abseits des Spielfeldes als Spaßvogel geltende 22-Jährige spielte unter Stefan Kuntz ein herausragendes Turnier, zeigte Reife und übernahm Verantwortung. Kein Wunder, dass anschließend die Interessenten Schlange standen, doch die Wahl fiel nicht nicht zufällig auf Leverkusen. „Mir geht es um die Mannschaft: Sie ist sehr gut besetzt mit vielen jungen, talentierten Spielern und gleichzeitig mit erfahrenen Profis, von denen man lernen und an denen man sich orientieren kann“, begründet der gebürtige Ludwigshafener seine Entscheidung.

In die gleiche Kerbe schlägt auch Demirbay: „Bei den Gesprächen habe ich die Philosophie vom Verein und vom Trainerteam mitbekommen, wie sie Fußball spielen wollen. Das ist Offensivfußball, offensives Verteidigen und mutig Fußball spielen. Und ganz klar: Fußball spielen – das liegt mir einfach sehr gut. Deshalb bin ich hier und da passe ich auch gut rein.“

Attraktiver Fussball als Lockmittel

Aussagen, die den Bayer-Verantwortlichen wie Butter runtergehen dürften, bestätigen sie doch, dass Bayers Philosophie in vielfacher Weise Früchte trägt. Die Werkself ist unter Bosz mit offensivem Fußball erfolgreich – das ist nicht nur attraktiv für die Fans, sondern auch ein Segen für den Verein. Denn nicht umsonst entschieden sich diesen Sommer zwei der begehrtesten Mittelfeldspieler der Bundesliga für einen Wechsel unters Bayer-Kreuz. Und auch auf der Außenbahn hat Bayer nachgelegt: Mit Moussa Diaby kam ein pfeilschneller Flügelspieler aus der Fußballschule von Paris St. Germain, der künftig mit Leon Bailey und Karim Bellarabi um einen Stammplatz kämpfen wird.

Rudi Völler und Simon Rolfes ist es somit tatsächlich gelungen, den Kader im Vergleich zur Vorsaison noch einmal zu verstärken. Kann Bayer 04 nun sogar dem BVB oder gar den Bayern den Kampf ansagen? Auch wenn das in Leverkusen niemand zugeben würde, das Potenzial dazu ist vorhanden. Sowohl in der Breite als auch in der Spitze besitzt Bayer herausragende Qualität, der Konkurrenzkampf ist in allen Mannschaftsteilen riesig – Härtefälle sind vorprogrammiert.

Härtefälle in der Zentrale

Vor allem in der Zentrale, wo mit Charles Aranguiz, Lars Bender, Kai Havertz, Kerem Demirbay und Nadiem Amiri gleich fünf Spieler Anspruch auf einen Stammplatz stellen. Coach Bosz wird den ein oder anderen Profi bei Laune halten müssen. Angesichts der Teilnahme an Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League dürfte dies allerdings kein allzu großes Problem für den Niederländer werden.

Die weitaus schwierigere Aufgabe für ihn liegt darin, bei aller Offensiv-Power die richtige Balance in der Rückwärtsbewegung hinzubekommen. Die Vorbereitung lief, den Testspielergebnissen nach zu urteilen, durchwachsen. Kaum Siege und zu viele Gegentore gegen vermeintlich schwächere Teams zeugen ebenso wie der wacklige 3:2-Auftaktsieg gegen den SC Paderborn davon, dass auf Peter Bosz und sein Team noch viel Arbeit wartet. Gelingt es ihm, aus den überwiegend jungen, hochveranlagten Kickern ein funktionierendes Gerüst zu bilden, kann der Geheimfavorit jeden Gegner in der Bundesliga schlagen.

Das gilt auch für Julian Brandts neuen Verein Borussia Dortmund. In Leverkusen würden sich die Verantwortlichen sicher besonders freuen, wenn die Werkself am Ende vor dem aktuellen Bayern-Jäger Nummer Eins landen und damit für die Zukunft das klare Zeichen setzen würde, dass Bayer eben doch mit den absoluten Spitzenclubs Deutschlands konkurrieren kann.