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Köln.Sport

„Bin meinem Traum ganz nah“

Alexandra Wester lacht bei der EM in Amsterdam

Hatte bei der EM bislang gut Lachen: Alexandra Wester qualifizierte sich für die Endrunde
Foto: imago/Laci Perenyi

Bei der Leichtathletik-EM springt Alexandra Wester im Finale. Im Interview spricht die Weitspringerin des ASV Köln über den großen Traum von Rio, Motivation und ihre Liebe zu Köln.

6,53 Meter. Mit dieser Weite qualifizierte sich Alexandra Wester für das Weitsprung-Finale bei der Leichtathletik-EM in Amsterdam. Kurz vor der Abreise zum Kontinentalvergleich in den Niederlanden traf Köln.Sport die 22-Jährige nach ihrem Training beim ASV Köln zum Interview und erlebte eine wie immer gut gelaunte und optimistische Sportlerin.

Alexandra Wester, seit dem letzten Treffen mit Köln.Sport sind knapp fünf Monate vergangen. Schildern Sie doch bitte in einem Satz, was seitdem passiert ist?
Ich bin meinem damals noch sehr fernen Traum von Rio ein ganzes Stück näher gekommen.

Für viele Beobachter kamen Ihre tollen Ergebnisse und Weiten sehr überraschend. Für Sie gar nicht?
Doch, schon. Ich erinnere mich, wie ich gegenüber dem ASV und meinem Trainer meine Ziele formuliert habe: Ich habe gesagt, ich werde versuchen, in der Halle eine 6,75 zu springen und draußen eine Weite um die 6,80 Meter zu schaffen. Für mich selber klang das auch erst verrückt, aber ich war davon überzeugt: ich habe das drauf. Und ich wusste auch, dass ich irgendwann mal an die sieben Meter heranspringen werde. Aber ich habe gedacht, das wird erst in ein bis zwei Jahren passieren. Das es so schnell geht, hatte ich nicht erwartet.

Nach den großen Erfolgen in der Halle hatten Sie mit dem Sieg in Bad Langensalza auch einen furiosen Start in die Freiluftsaison, haben die Olympianorm auf Anhieb geknackt. War es schwer, die gute Form aus der Halle mit nach draußen zu nehmen?
Es war nicht schwer die Form mit nach draußen zu nehmen. Was eher schwer war, in der kurzen Phase nach der Hallen-WM, die sehr spät war, ein Aufbautraining zu gestalten. Wir haben uns trotzdem die Zeit gelassen, um Schnelligkeit, Kraft und auch nochmal ein bisschen Ausdauer zu trainieren. Und das war auch gut so.

Bei der DM in Kassel haben Sie Ihr Ziel aber verpasst und sind mit 6,64 Zweite geworden. Bewerten Sie dieses Ergebnis als Rückschlag oder ist es eher Ansporn?
Darüber habe ich mich wirklich geärgert. Es war mein Ziel, ich hatte mir fest vorgenommen, Deutsche Meisterin zu werden und war auch sehr optimistisch. Es war ein schlechter Wettkampf. Ich konnte den Tag im letzten Sprung zwar noch retten, war danach aber enttäuscht. Jetzt sehe ich es als Motivation. Ich habe seit Kassel jeden Tag die Silbermedaille dabei. Die nehme ich jetzt überall hin mit, als Ansporn mich jeden Tag zu verbessern. Eigentlich kann man auf einen zweiten Platz ja stolz sein, aber wenn ich jetzt an den Wettkampf zurückdenke, dann weiß ich, dass nichts selbstverständlich, aber auch genauso nichts unmöglich ist. Wenn im Training mal ein Sprung nicht gut ist, zeigt mein Trainer mir die Medaille und sagt, schau sie dir ganz genau an. Der Sprung danach klappt dann immer super (lacht). Aber vor allem für meine Ernährung ist die Medaille Gold wert. Es fällt mir leichter, mal auf etwas Süßes zu verzichten, weil ich im immer Hinterkopf habe, mein optimales Wettkampfgewicht zu halten und fit zu bleiben. 

Sie bestreiten in dieser Saison verhältnismäßig viele Wettkämpfe und haben gesagt, dass sie diese als mentales Training ansehen. Wie stark ist Alexandra Wester im Kopf?
Wettkämpfe sind das Highlight. Klar freue ich mich jeden Tag auf das Training, aber im Wettkampf geht man automatisch an die Grenzen und gibt 110 Prozent. Daraus lerne ich und nur dadurch mache ich Fortschritte. Es geht immer noch besser, aber mental bin ich echt stark. Das habe ich ja auch bei den Deutschen Meisterschaften bewiesen, als ich im letzten Versuch noch einen raushauen konnte.

Alexandra Wester springt in eine Grube

Mit 6,53 Metern sprang Alexandra Wester in der Qualifikation für das Finale bei der EM in Amsterdam die fünftbeste Weite und springt am Freitagabend um den Sieg
Foto: imago/Beautiful Sports

Wie sieht es körperlich aus? Europameisterschaft und Olympische Spiele stehen vor der Tür. Sind Sie bereit?
Ich bin superfit. Wir haben die letzten beiden Wochen wirklich hart trainiert, vor allem Sprünge und viel Schnelligkeit. Ich habe bei den Deutschen Meisterschaften gemerkt, ich muss wieder schneller werden. Mit meinem Trainer Charles Friedek habe ich mich im Training dann sogar duelliert.  Er hat gesagt, er schafft es schneller durch die Lichtschranke als ich. Das hat dann aber nicht ganz geklappt (lacht). Ich fühle mich auf jeden Fall fit und gesund. Das ist das Wichtigste.

Bei der EM werden Sie definitiv starten. Mit welchem Ziel?
Ich möchte es erstmal besser machen, als bei der DM in Kassel. Richtig glücklich wäre ich, wenn ich eine neue Bestleistung springen könnte. Was dann dabei rauskommt, ist nicht mir überlassen.

Über Ihre Teilnahme an Olympia in Rio wird nach der EM entschieden. Wie sehen Sie die Chancen?
Mein Trainer und das Umfeld sind sehr optimistisch gestimmt, weil ich die Norm geschafft habe. Ich bin allerdings kritischer und mir ist bewusst, dass ich das Olympia-Ticket noch nicht sicher habe. Daher denke und verhalte ich mich lieber eher zurückhaltend.

Was würde Ihnen der Start in Rio bedeuten?
Das würde mir alles bedeuten. Mit der Teilnahme in Rio würde ein Kindheitstraum in Erfüllung gehen. Seit bekannt wurde, dass Olympia 2016 in Rio stattfindet, hatte ich dieses Ziel vor Augen. Ich wusste direkt, da bin ich dann 22, da kann ich alles geben. Zunächst war es nur ein Traum. Aber ich bin davon überzeugt, dass man seine Träume verfolgen sollte. Und wie man sieht, jetzt ist es deutlich realistischer geworden.

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2012 in London waren 7,12 Meter die siegbringende Weite. In Weinheim sind Sie exakt 7 Meter gesprungen, allerdings mit zu viel Rückenwind, sodass der Versuch ungültig war. Knacken Sie in diesem Sommer die 7 Meter-Marke?
Mein erstes Ziel ist die Teilnahme an den Olympischen Spielen. Die sieben Meter schon in diesem Jahr zu knacken, fände ich auch nicht schlecht, steht als Ziel aber eher daneben. Rio ist das Wichtigste. Wenn ich die sieben Meter erst nächstes Jahr springe, wäre das kein Weltuntergang, vorgenommen habe ich es mir aber trotzdem.

Eine der letzten deutschen Frauen, die so weit gesprungen ist, ist Heike Drechsler, die Sie zuletzt zufällig auf dem Flughafen von Mallorca getroffen haben. Ist Sie Ihr Vorbild?
Sie hat auf jeden Fall eine Vorbildfunktion für mich. Es war ein krasser Zufall und wirklich toll, sie zu treffen. Wir haben leider nur ganz kurz gesprochen, weil sie zum Gate musste. Sie hat mir mit auf den Weg gegeben, immer auf dem Boden zu bleiben. Sie hat auch gesagt, ich soll mir meine Lockerheit unbedingt bewahren. Sie hatte meinen Sprung beim ISTAF gesehen und mir gesagt, dass ich genau diese Lockerheit behalten muss, denn die beflügelt.

Ich habe gelesen, dass Sie in Ihrer kompletten Wohnung Zettel mit Motivationssprüchen verteilt haben. Welcher Zettel klebt im Hinblick auf EM und Olympia auf Ihrem Kühlschrank?
Mein Lieblingsspruch lautet: Fall sieben Mal hin, steh acht Mal auf. Es gibt aber einige Sprüche, die mir richtig gut gefallen. Zuletzt habe ich Bilder der letzten drei Medaillengewinnerinnen in der Wohnung aufgehangen. Einerseits, weil sie eine Vorbildrolle einnehmen, andererseits wache ich jetzt jeden Morgen auf und schaue meinen Gegnerinnen in die Augen.

Ein beliebtes Zitat, das Sie in den sozialen Medien nutzen, lautet: „Für das, was man liebt, lohnt es sich immer zu kämpfen.“ Wofür kämpft Alexandra Wester abseits der Weitsprunggrube?
Mein Leben ist eigentlich kein Kampf. Für mich ist der Sport der Bereich, wo ich mich wirklich zurück kämpfen musste und auch immer wieder Rückschläge erlebt habe. Ansonsten genieße ich mein Leben und mache das, was mir Spaß und Freude bereitet.

Alexandra Wester und Trainer Charles Friedek

Alexandra Wester im Gespräch mit ihrem Trainer Charles Friedek, der Köln immer wieder mit offenen Augen nach ungewöhnlichen Trainingsorten durchforstet
Foto: imago/beautiful sports

Seit knapp einem Jahr leben Sie jetzt in Köln. Hält die Stadt noch immer, was Sie sich von ihr versprochen haben?
Auf jeden Fall. Ich liebe die Stimmung in der Stadt. Köln lebt, hier ist verdammt viel los. Das gefällt mir sehr. Hier kann man viel unternehmen.

Was haben Sie schon unternehmen können?
Bei gutem Wetter sitze ich gerne am Aachener Weiher oder jogge um den Adenauer Weiher. Auch der Fühlinger See gefällt mir echt gut. Eigentlich hat alles, was ich unternehme, immer etwas mit Bewegung zu tun. Ohne geht es einfach nicht.

Und was würden Sie in Köln gerne noch machen, wofür aktuell die Zeit fehlt?
Ich hatte eigentlich geplant, in diesem Jahr zum Summerjam-Festival zu gehen. Ich liebe Reggae-Musik. Wegen der Vorbereitung auf die EM habe ich mich dann aber dazu entschieden, meinen Besuch auf nächstes Jahr zu verschieben.

Haben Sie einen Lieblingsplatz in Köln?
Das ist für mich ganz klar der Escher See. Ich liebe es, bei heißem Wetter draußen zu sein. Hier bekommt man ein tolles Strandfeeling, kann Volleyball spielen und sich ordentlich austoben.

Wie sieht es mit der S-Bahn Haltestelle Weiden aus, wo Sie regelmäßig Sprungtraining absolvieren?
Das ist nicht unbedingt mein Lieblingsplatz (lacht). Die Einheiten hier sind wirklich die anstrengendsten, aber es lohnt sich. Die Treppe hat es  in sich. Es sind, glaube ich, 60 oder 70 Stufen, aber so genau will ich das auch gar nicht zählen (lacht). Charles hat Köln mit offenen Augen beobachtet und diese Treppe als idealen Trainingsort auserkoren. Die Leute gucken immer ganz gespannt, was wir da eigentlich machen und schauen dann gerne auch mal länger zu.

Wie läuft das Studium an der Deutschen Sporthochschule?
Das Studium läuft super. Ich bin es jetzt erstmal locker angegangen, weil ich mir mehr Zeit für die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele nehmen wollte. Tanzen und Gymnastik habe ich mir als Praxiskurse bewusst ausgesucht, weil die Verletzungsgefahr da am niedrigsten ist. Zusätzlich besuche ich noch ein paar Vorlesungen. Im nächsten Semester werde ich dann deutlich mehr machen.

Beim ASV Köln, so hört man, haben Sie bereits tiefen Eindruck hinterlassen. Wie empfinden Sie das Vereinsleben?
Der ASV ist eine kleine, super nette Familie mit toller Atmosphäre, was mir sehr wichtig ist. Alle freuen sich über meine Erfolge mit und stärken mir den Rücken. Jedes Mal, wenn ich auf der Anlage bin, ist irgendetwas los. Gerade für den Nachwuchs tut der Verein unglaublich viel.

Wie wichtig ist es Ihnen, sich aktiv im Verein einzubringen, beispielsweise durch den Besuch von Kinderferiencamps?
Das gehört für mich auf jeden Fall dazu, weil ich es wichtig finde, wenn die Kinder ein Vorbild haben, an dem sie sich orientieren können. Ich habe vor einigen Wochen beim Kinderlauf mitgeholfen, das Aufwärmprogramm mitgemacht und danach fleißig angefeuert.

Alexandra Wester im Aufwärmshirt des ASV Köln

Die 22-Jährige ist das sportliche Aushängeschild des ASV Köln und gilt als eine der großen Hoffnungsträgerinnen für die deutsche Leichtathletik
Foto: imago/Beautiful Sports

Oft wird in Bezug auf die Leichtathletik von „altbacken“ und „unmodern“ gesprochen. Wie schätzen Sie den nationalen Stellenwert der Leichtathletik aktuell ein?
Das sehe ich eigentlich gar nicht so. Natürlich wird alles irgendwo unter dem Fußball begraben, aber wenn man davon absieht, ist Leichtathletik hoch im Kurs und in den Medien sehr präsent. Mit Events wie dem ISTAF macht die deutsche Leichtathletik auch marketingtechnisch einen Schritt nach vorne. Darauf kann man aufbauen. Besonders dieses Jahr können die Leichtathleten in Rio nochmal ein Ausrufezeichen setzen.

Viele Experten trauen Ihnen zu, als „junges, frisches“ Gesicht  der Leichtathletik zu neuem Glanz zu verhelfen. Zu viel des Guten oder eine Rolle, mit der Sie sich anfreunden können?
Ich könnte mich mit der Rolle anfreunden, sehe sie aber nicht nur bei mir alleine. Es gibt einige Athleten, die die Leichtathletik super repräsentieren. Gina Lückenkemper oder Thomas Röhler zum Beispiel. Es gibt einige junge Gesichter, die wirklich was verändern können in der deutschen Leichtathletik und dem Image gut tun.

Insbesondere Ihre Interaktion mit dem Publikum wird als „erfrischend anders“ wahrgenommen. Sind Sie generell ein Mensch, der Freude und Erfolge gerne teilt?
Ja, das ist super wichtig. Für mich zeichnet einen optimalen Wettkampf aus, dass die Stimmung gut ist. Es ist eine Wechselbeziehung. Man selber sollte sich auf gar keinen Fall versteifen, aber genauso spornt es mich an, wenn ich sehe, wie das Publikum mitgeht, jubelt und richtig gute Stimmung macht. Wenn man eine solche Interaktion hat, muss man sie auch nutzen. Ich merke, dass meine Leistung besser ist, wenn ich lockerer und fröhlicher drauf bin. Da ist aber jeder Athlet anders.

Die öffentliche Aufmerksamkeit ist allgemein immens gestiegen. In Sachen Presseanfragen aber auch was die Vermarktung betrifft. Baut diese Entwicklung bei Ihnen persönlich zusätzlichen Druck auf?
Nein, gar nicht. Ich merke, dass immer mehr Leute verfolgen, was ich mache. Das ist ein Ansporn. Man sollte die Dinge nicht zu ernst nehmen oder Angst haben, andere zu enttäuschen. Es ist doch ganz normal und menschlich, auch mal einen schlechten Wettkampf zu haben. Nach der DM habe ich ganz klar gesagt, es lief einfach nicht gut. Da war die Reaktion dann auch eher aufbauend. Meine persönliche Erwartungshaltung an meine Leistung ist generell schon hoch. Da verspüre ich eher den Druck, den ich mir selber mache. Ich mache den Sport für niemand anderen, nur für mich.

Wenn Sie einen Wunsch für den Sommer frei hätten. Welcher wäre das?
Dass ich es dieses Jahr schaffe, bei den Olympischen Spielen in Rio mein ganzes Potenzial zu offenbaren und alles, was in mir steckt, abzurufen.

Das Gespräch führte Stefan Kühlborn