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Köln.Sport

Titel, Trauer, Turbulenzen

Es war die Schocknachricht des Jahres für Kölner Boxfans: Manuel Charr wurde kurz vor seinem WM-Kampf in der Lanxess-Arena gegen Fres Oquendo wegen Dopings gesperrt. Doch auch sonst war im Boxjahr 2018 einiges los. Ein Rückblick.
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Denkwürdiges Jahr: Manuel Charr gehörte zu den großen Verlierern des Boxjahres 2018. (Foto: imago/Sven Simon)

Wo genau sich Manuel Charr am Mittag des 20. September 2018 aufhielt, ist nicht weiter überliefert. Wahrscheinlich schuftete der dama-lige WBA-Weltmeister in seinem privaten Gym, schließlich sollte neun Tage später der größte Kampf seiner wechselhaften Karriere stattfinden. Gegen den Kubaner Fres Oquendo hoffte der selbst ernannte „Diamond Boy“ auf einen tollen Boxabend in seinem „Wohnzimmer“, wie er die Lanxess-Arena beschrieb, wollte dort seinen WM-Titel verteidigen. Doch es kam -alles anders.

Bei einer Kontrolle durch die freiwillige Doping-Agentur VADA, bei der sich Charr wenige Monate vor dem geplanten Kampf registriert hatte, wurde er positiv auf die verbotenen Substanzen Epitrenbolon und Drostanolon getestet. Dabei handelt es sich um Anabolika, die zum Muskelaufbau verwendet werden. Eine Nachricht, die die Boxgemeinde in Köln in Aufregung versetzte und, grob überspitzt, zwei Stimmen hervorbrachte: die eine Seite, die mit dem Champion, der auch abseits des Boxrings in seinem Leben schon so viele Höhen und Tiefen hinnehmen musste, trauerte, beinahe mit ihm litt. Und die andere Seite, die in Charr einen unverbesserlichen Chaoten sieht, gab praktisch zu Protokoll: „Wir haben es euch immer gesagt!“

Der „Diamond Boy“ selbst fiel natür-lich ebenfalls aus allen Wolken. „Ich kann mir das Ergebnis einfach nicht erklären, werde aber alles dazu beitragen, um es aufzuklären“, sagte Charr. „Ich war immer und bei allen Kämpfen clean.“ Aus heutiger Sicht lässt sich feststellen: Die B-Probe, die Charr bei Unschuld entlastet hätte, ist bis heute nicht geöffnet worden, der Kampf wurde abgesagt, eine Suspendierung folgte, außerdem war natürlich der Titel weg. Wie es nun weitergeht mit der Karriere des 33-Jährigen, steht noch in den Sternen – die Chance, seinen Traum wahr zu machen und einmal in der Lanxess-Arena vor großem Publikum zu boxen, dürfte er fürs Erste allerdings leider verspielt haben.

Der unbesiegbare Joshua

Doch auch außerhalb Kölns war 2018 so einiges los. Posterboy Anthony Joshua zeigt am 31. März in Cardiff vor 78.000 Zuschauern, wer der unangefochtene Champ im Schwergewicht ist. Durch seinen Punktsieg gegen Joseph Parker vereinigt der Brite die Weltmeistertitel der Verbände IBF, WBA (Superchampion) und WBO. Spektakulärer macht es Schwergewichtskollege Deon-tay Wilder. Die Knock-out–Maschine aus Tuscaloosa liefert sich einen harten Fight mit Luis Ortiz im New Yorker Barclays Center und besiegt den bis dahin unge-schlagenen „King Kong“ mit einem rechten Uppercut in der 10. Runde.

Vier Gewichtsklassen tiefer sorgt der mexikanische Star-Boxer Saul Alva-rez für einen handfesten Skandal. Canelo wird positiv auf das Kälbermastmittel Clenbuterol getestet, sein Rematch gegen Golovkin muss verschoben werden, Millionen Fans weltweit sind enttäuscht. Fassungslos macht die -Zuschauer in Deutschland auch der Fight zwischen Tyron Zeuge und Isaac Ekpo. Nicht etwa, weil der Berliner Boxweltmeister bei seiner Titelverteidigung glanzlos agiert, sondern weil sie den entscheidenden Punch nicht mitbekommen. Als Zeuge zu Beginn der zweiten Runde zum Knock-out ansetzt, sehen seine Anhänger auf Sport1 noch Werbung. Ein folgenschwerer Fauxpas, den die Fans mit einem Shitstorm in den -sozialen Netzwerken quittieren.

Doch es gibt auch erfreuliche Nachrichten. Die beeindruckende Karriere von Vitali Klitschko findet mit der Aufnahme in die Hall of Fame des internationalen Boxsports bei den alljährlichen Feierlichkeiten in Canastota ihren rühmlichen Abschluss. Der ehemalige Weltmeister ist Teil der „Class of 2018“ – und zeigt sich sichtlich überwältigt. „Ich habe nie damit gerechnet, eines Tages unter den Legenden zu sein, die schon immer meine Vorbilder waren. Es ist eine große Ehre für mich“, sagt „Dr. Eisenfaust“.

„GGG“ gegen „Canelo“ 2

Im September ist es dann so weit: Mit der Fortsetzung ihres Duells schreiben Gennady Golovkin und Saul, genannt „Canelo“ Alvarez, Geschichte. Kaum ein Fight sorgte in der jüngeren Vergangenheit für so viel Aufsehen wie das erste Duell der beiden – kein Wunder, dass das Rematch der beiden Champions als „Rückkampf des Jahres“ angekündigt wird. Und tatsächlich: Die beiden besten Mittelgewichtler der Welt lassen am 15. September in Las Vegas erneut keine Wünsche offen und liefern eine Ringschlacht, die dem Hype gerecht wird.

Zwölf Runden schenken sich die Streithähne nichts, am Ende entscheiden zwei der drei Punktrichter hauchdünn zugunsten Canelos. „GGG“ fühlt sich nach dem Skandal-Urteil im ersten Duell erneut betrogen, Alvarez hat dafür kein Verständnis: „Ich bin zufrieden, weil ich einen tollen Kampf geliefert habe. Es war ein klarer Erfolg“, tönt der Mexikaner, sich nun Weltmeister der Verbände IBO, WBA und WBC nennen darf.

Nicht weniger spektakulär ist der Top-Fight im Schwergewicht zwischen Anthony Joshua und Alexander Povetkin. Der 28 Jahre alte Brite verteidigt seine drei Gürtel vor 80.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion durch einen K.o.-Sieg der siebten Runde, muss in den ersten Runden vom mutig auftretenden Pflichtherausforderer allerdings auch einige harte Treffer einstecken. Am Ende behält er jedoch den Überblick und zeigt stolz seine Gürtelsammlung. Er ist derjenige, den es im Schwergewicht in den nächsten Jahren zu schlagen gilt. Ein wirklich ebenbürtiger Herausforderer für den britischen Koloss ist aktuell aber noch nicht in Sicht.

Abschied von Rocky

Dann kommt der 1. Oktober 2018 – und ein Ereignis, dass die die Boxwelt nachhaltig schockiert. Gegen 23:30 Uhr wird Graciano Rocchigiani in Piano Tavola auf Sizilien von einem Auto erfasst. Für den ehemaligen Weltmeister im Supermittel- und Halbschwergewicht kommt jede Hilfe zu spät. Zahlreiche Sportler und Wegbegleiter wie Dariusz Michalczewski oder Henry Maske nehmen nach Bekanntwerden der Nachricht Anteil an der Tragödie und verabschieden sich mit teils rührenden Worten. „Rocky“, der erst wenige Wochen zuvor in „Boxsport“ sein wohl letztes großes Interview gab, wird am 13. Oktober in Berlin auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof beigesetzt.

Nur drei Tage später erschüttert die nächste Todesnachricht Box-Deutschland. Schwergewichtslegende Karl Mildenberger stirbt am im Alter von 80 Jahren in einem Hospiz in Kaiserslautern. In seiner zehnjährigen Profikarriere von 1958 bis 1968 bestritt Mildenberger 62 Kämpfe und lieferte dem „Größten“ aller Zeiten, Muhammad Ali, 1966 im Frankfurter Waldstadion einen heroischen Kampf.

Und zum Jahresabschluss gab es sogar noch etwas zu feiern: Einen runden Geburtstag feiert Axel Schulz am 9. November. 50 Jahre wird das deutsche Ring-Idol und blickt anlässlich des Jubiläums im BOXSPORT-Interview auf seine bewegte Laufbahn im Schwergewicht zurück und erklärt, warum er trotz mehrerer Enttäuschungen in seinen größten Kämpfen keinen Groll hegt: „Trotz allem bin ich mit meiner Karriere sehr zufrieden. Dreimal um eine WM geboxt – das können nicht allzu viele vorweisen“, so der sympathische TV-Experte mit der Berliner Schnauze.

Das Box-Jahr 2018 hielt somit alles bereit: Große Kämpfe um noch größere Titel, traurige Abschiede großer Legenden und natürlich turbulente Szenarien. Allen voran ist dabei natür-lich Manuel Charr zu nennen, der dieses Jahr mit Sicherheit nicht allzu schnell vergessen wird. Seine Zukunft steht in den Sternen – und er wird hoffen, dass diese im kommenden Jahr für ihn etwas günstiger stehen.