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Köln.Sport

Rehm: „Im Zweifel für den Angeklagten“

Markus Rehm, Weitspringer

Hat er durch seine Prothese einen Vorteil oder nicht? Weitspringer Markus Rehm
Foto: Getty Images

Als erster deutscher Weitspringer knackt Markus Rehm die Olympia-Norm. Doch sein „Sprung nach Rio“ bleibt weiter ungewiss, denn die Zweifel bezüglich seiner Prothese konnten nicht vollständig ausgeräumt werden.

Markus Rehm (TSV Bayer Leverkusen) wird die Reise nach Rio de Janeiro definitiv antreten. Fraglich ist allerdings weiterhin der genaue Abflugtermin. Denn während die Paralympischen Spiele, bei denen der unterschenkelamputierte Weitspringer seinen Titel von 2012 verteidigen möchte, am 7. September beginnen, fällt der Startschuss für die Olympischen Spiele bereits einen Monat früher (5. August). Die am Montag im Deutschen Sport- und Olympiamuseum in Köln einberufene Pressekonferenz sollte unter dem Motto „Auf dem Sprung nach Rio“ Licht ins Dunkel bringen und eine Antwort auf die Frage geben, ob die Prothese dem 27-Jährigen einen Vorteil gegenüber der nicht behinderten Springer biete. Das tat sie jedoch nur bedingt. Noch immer herrscht weitgehend Ungewissheit in der Causa Rehm, denn das präsentierte Gutachten enthielt keine klaren Signale, sondern lediglich ein Zwischenergebnis mit Spielraum für Interpretationen.

Kein eindeutiger Vorteil für Rehm

Im Rahmen einer Studie verglichen renommierte Wissenschaftler aus Deutschland, Japan und den USA die Werte von drei unterschenkelamputierten Weitspringern, darunter Markus Rehm, und sieben nationalen und internationalen Spitzenspringern ohne Amputation. „Zunächst einmal haben wir uns die maximale Geschwindigkeit der einzelnen Athleten angesehen und festgestellt, dass die Springer mit Prothese einen Nachteil beim Anlauf besitzen, weil sie weit weniger Geschwindigkeit generieren können und die Maximalgeschwindigkeit einen signifikanten Zusammenhang zur Springweite aufweist“, schilderte Dr. Alena Grabowski von der University of Colorado Boulder.

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Dem steht ein nachgewiesener Vorteil des Athleten mit Amputation gegenüber: „Die Gelenkarbeit ist wichtig für den Energieaustausch. Eine Prothese kann weit mehr Energie speichern und sie wieder abgeben als ein menschliches Gelenk. Darum kann ein Springer mit Prothese die Energie in der Absprungphase effizienter nutzen als ein Springer ohne Behinderung“, verdeutlichte Dr. Hiroaki Hobara vom Institut aus Tokio Rehms Vorteil. „Es ist derzeit unmöglich, den Anlaufnachteil und den Absprungvorteil gegeneinander aufzuwiegen, weil die sich beiden Bewegungstechniken fundamental voneinander unterscheiden. Mit der Studie haben wir aber überhaupt erstmal nachweisen können, dass beides mit der Prothese zusammenhängt“, sagte Prof. Dr. Wolfgang Potthast von der Deutschen Sporthochschule Köln. Unklar bleibt also, ob der Vorteil im Absprung größer ist als der Nachteil im Anlauf. In Zukunft läge die Herausforderung daher darin, Parameter zu definieren, die einen Vergleich der beiden Bewegungsmuster zulassen.

Doppelstart in Rio als Ziel

Doch die Spiele beginnen in knapp zwei Monaten – keine Zeit für eine neuerliche Untersuchung. „Ich habe mit der Realisierung der Messung meinen Worten Taten folgen lassen und damit ein Statement gesetzt, dass ich es mit einem fairen Miteinander ernst meine. Ich wünsche mir, dass sich die IAAF jetzt endlich mit mir an einen Tisch setzt“, ließ Markus Rehm, der den Schwerpunkt weiterhin auf die Paralympics legt, verlauten. Auch vom DLV erhofft sich der Athlet einen stärkeren Rückhalt. Er erwartet, dass der Verband einen Schritt auf ihn zu geht.

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Kein einfaches Unterfangen, interpretiert man die Worte von Prof. Dr. Potthast richtig: „Wir haben während der Untersuchungen deutliche Ablehnung aus der deutschen Leichtathletikszene erfahren. Uns wurde unterstellt, dass die Studie nicht seriös sein würde und die Ergebnisse schon vorher feststünden. Das hat uns erstaunt und verärgert“. Davon wolle sich Rehm allerdings nicht abbringen lassen. Sein Ziel bleibt nach wie vor, im August in Rio zu starten, um die Inklusion in der Leichtathletik voranzutreiben. „Ich möchte den olympischen und den paralympischen Sport näher zusammenbringen und mich mit den Besten der Welt messen. Mir geht es nicht um Medaillen, sondern darum, dass beide Seiten von dieser Bereicherung profitieren“, verdeutlichte der Orthopädie-Mechanikermeister seine Olympia-Absichten.

Seine Chancen sieht der 27-Jährige als gestiegen an. „Es ist ein schönes Ergebnis, dass man keinen Vorteil feststellen konnte“, freute er sich und verwies auf das allgemeine Credo „Im Zweifel für den Angeklagten“. In dieselbe Kerbe schlug auch Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes. „Wenn es kein Vorteil ist: Was hält dann noch auf?“, fragte er und appellierte: „Seid fair, habt keine Angst vor einer Auseinandersetzung“.

Text: Tim Kullmann