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Köln.Sport

Lucky Punch

Rüdiger May war einst die Nummer 1 der WBO-Weltrangliste und wurde 2001 EU-Champion. Ein Köln.Sport-Reporter hat ihn in seinem Box-Gym besucht und es gewagt, mit ihm in den Ring zu steigen. Ring frei!
KS in Gefahr

Glücksmoment: Endlich schlägt der rechte Haken beim Gegner ein. (Foto: Köln.Sport)

Sie waren lang! Verdammt lang! Die Rede ist von den drei Minuten, die ich mit einem knapp 15 Zentimeter größeren Mann im Boxring stand. Aber es war nicht irgendein Mann. 1,97 Meter misst er und bringt knappe 90 Kilo auf die Wage. Die Rede ist von Rüdiger May, dem ehemaligen Deutschen Boxmeister im Cruisergewicht. Aber dazu später mehr – beginnen wir von Anfang an!

Mit einer Mischung aus Nervosität, Anspannung und Vorfreude mache ich mich auf zu meiner ersten „Köln.Sport in Gefahr“-Mission. Mein Ziel: Das Box-Gym „Maylife“ im Kölner Norden. Hier betreibt Rüdiger May zusammen mit seinem Bruder Torsten – übrigens kein Geringerer als der Olympiasieger im Halbschwergewicht von 1992 – und seinem Vater Uli May einen kleinen Boxklub mitten im Herzen der Sport- und Erholungsanlage am Fühlinger See. Und tatsächlich: Als ich nach einer gut zwanzigminütigen Autofahrt den Parkplatz vor Ort erreiche, sieht alles sehr idyllisch und entspannt aus. Die Ruhe vor dem Sturm? Wahrscheinlich! Schließlich werde ich gleich erstmals und vor allem ernsthaft die Boxhandschuhe schnüren. Zugegeben: Als Kind besaß ich einen eige­nen Boxsack, allerdings konnte man mein wildes, unkontrolliertes Einschlagen auf selbigen nicht als echtes Boxen bezeichnen. Auch bin ich von klassischen „Kirmesschlägereien“ bislang verschont geblie­ben – zum Glück! Es ist also dringend an der Zeit herauszufinden, ob nicht doch ein kleines Boxtalent in mir schlummert oder mich der Ex-Profi nach einem Schlag auf die Bretter schickt.

Schlag auf Schlag

Kaum trete ich durch die Tür, begrüßt mich der ehemalige Boxchamp hochmotiviert in seinem kleinen, aber feinen Boxklub: „Let’s go! Umziehen, und ab geht’s!“ Gesagt, getan. Mit Sportklamotten ausgestattet geht es ab in den Trainingsraum, der neben einem Boxring und Sandsäcken auch über eine Spiegelwand verfügt. Meine große Befürchtung, zunächst beim Seilspringen zu versagen und Opfer meiner mangelnden Kondition zu werden, tritt zum Glück nicht ein. Es geht direkt in den Ring, wo ich mit leichten Aufwärmübungen wie Armkreisen und Auf-der-Stelle-Laufen starte. Anschlie­ßend erklärt mir Rüdiger ein paar grundlegende Dinge beim Boxen, wie zum Beispiel die richtige Beinstellung: „Egal ob man Links- oder Rechtsausleger ist, die Beine sind immer schulterbreit auseinander, und der linke Fuß ist in Schrittstellung nach vorne versetzt.“

Nach und nach gibt er mir Einblicke in die Grundschläge. Angefangen mit der Geraden über den Aufwärtshaken bis hin zum Seitwärtshaken macht er mir die Schläge vor, bevor ich sie ­unter kritischer Beobachtung nachmache. Im großen Wandspiegel kann ich ­meine Bewegungen kontrollieren und habe sichtlich Spaß an den Übungen, die anfän­gliche Nervosität scheint verflogen – vorerst! Etwas komplizierter wird es, als wir die Beinarbeit mit den Schlägen kombinieren! Mir war vorher nicht bewusst, dass die Beinarbeit von so großer Bedeutung ist. Sowohl für die Offensive, also die Vorwärtsbewegungen, als auch für die Defensive muss man eine bestimmte Schritt-Schlag-Folge einhalten. Singu­läre Schläge stellen für mich kein Problem dar, werden aber zwei Schläge und Schritte miteinander kombiniert, muss ich mich extrem konzentrieren. Hin und wieder bekomme ich ein Lob von meinem Personal Coach, die Motivationskurve zeigt noch weiter nach oben. Nach kurzer Trinkpause geht es dann endlich ans Eingemachte – die Handschuhe warten!

Kampf gegen die Uhr

Nachdem mir Rüdiger in die Boxhandschuhe geholfen hat, stattet er sich mit „Boxpratzen“ aus. Endlich darf ich auf ein Ziel einschlagen! Auch hier starten wir mit den eben gelernten Schlägen, jeden Schlag wiederhole ich zehn Mal. Langsam komme ich in den Modus. Ich versuche, noch fester zuzuhauen, was allerdings auf Kosten der Technik geht. „Nimm dir für jeden Schlag genug Zeit!“ Seine Tipps helfen! Die Schläge werden präziser, und ich versuche, noch mehr Kraft aufzubringen. Mit Ernüchterung stelle ich jedoch fest, dass meine linke Hand maximal zur Deckung zu gebrauchen ist. Harte Schläge? Fehlanzeige! Egal, es ist noch kein Boxer vom Himmel gefallen! Weiter geht es mit Schlagkombinationen: linke Gerade – rechter Aufwärtshaken – linker Seitwärtshaken.

Langsam werden meine Arme schwerer, was dem Coach nicht entgeht: „Die Arme gehen ­direkt zurück in die Deckung!“ Klar, ansonsten klingelt es schneller in meinem Gesicht, als mir lieb ist. Gut, dass ich keinen echten Fight bestreiten muss, alleine schon aus konditioneller Sicht wäre das mein Untergang! Nach etli­chen Wiederholungen steht schließlich doch mein erster Kampf bevor: der Kampf gegen die Uhr! „Jetzt lernst du mal den Sandsack kennen“, sagt Rüdiger grinsend und ergänzt: „Eine Runde im Boxen geht drei Minuten. Die drei Minuten gehören jetzt dir und dem Boxsack.“ Na ja, drei Minuten klingen für mich nicht nach einer Ewigkeit, das sollte kein Problem werden. „Bleib immer in Bewegung. Achte auf deine Beinarbeit und tänzle um den Sandsack herum.“

Ich bekomme noch ein paar Tipps an die Hand, ehe der Countdown gestartet wird. Es macht mir unfass­bar großen Spaß, auf das Boxgerät einzuschlagen, und ich lege los wie die Feuerwehr. Schlag auf Schlag. Dabei befolge ich die zuvor genannten Tipps und tänzele um den schwingenden Sack herum. Vor und zurück. Täusche Ausweichmanöver an. Variiere die ­Schläge. Ich habe das Bedürfnis, dem ehemaligen Deutschen Meister zu zeigen, was in mir steckt. „Teil dir deine Kraft gut ein, drei Minuten können lang werden“, höre ich ihn rufen. „Gleich geschafft“, denke ich mir und powere­ weiter drauf los. „Die erste Minute ist um“, gibt mir der Trainer durch. Was? Erst eine Minute? Ich schalte zwei ­Gänge zurück, reduziere die Schlagzahl und tänzele langsamer um meinen „Gegner“ herum. Wow, drei Minu­ten können echt lang sein!

Aber egal, ich beiße auf die Zähne und versuche, mir meine Erschöpfung nicht anmerken zulas­sen. Die letzten 30 Sekunden sind angebrochen, und ich erhöhe nochmal das Tempo, schlage wieder fester zu und bin schneller auf den Beinen unterwegs. Die Schlusssi­rene klingt wie Musik in meinen Ohren. „Das waren die längsten drei Minuten meines Lebens“, presse ich, nach Atem ringend, heraus. „Die längsten drei Minuten kommen jetzt erst“, entgegnet mir der 44-Jährige mit schelmischem Blick. Er meint es ernst: Jetzt geht es wirklich in den Ring!

Ungleiches Duell

Was wäre „Köln.Sport in Gefahr“, wenn mein einziger Gegner ein von der Decke hängender und sich nicht wehrender Sandsack wäre? Ein schlechter Scherz! Dass ich aber gegen Rüdiger May höchstpersönlich in den Ring steigen würde, hätte ich vorher nicht gedacht. Bevor der Gong zur ersten (und hoffentlich einzigen) Runde ertönt, betritt ein bereits gedusch­ter Boxer den Trainingsraum. „Soll ich mich nochmal umziehen und ihn kurz platt machen?“, fragt er lachend. „Ne, ne, das übernehme ich schon selbst“, erwi­dert der 1,97 Meter große und gefühlt 1,30 Meter breite Rüdiger May. Zum Vergleich: Ich messe gerade mal 1,82 Meter und bringe knapp 76 Kilo auf die Waage. Die Voraussetzungen für einen Sieg meinerseits werden dadurch nicht unbedingt besser. „Ich darf aber schon richtig feste zuhauen?“, frage ich meinen Gegner und bemerke im selben Moment, wie lächerlich das klingt. Wir stehen in einem Boxring, mein Gegner hat in seiner Karriere unzählige Schläge verteilt und kassiert – natürlich darf ich richtig zuschlagen. Mal ganz davon abgesehen, dass mein rechter Haken wohl kaum für Schmerzen sorgen wird. „Klar, du schlägst richtig zu!“ Der Gong ertönt, und wir tänzeln durch den Ring. Mein Herz schlägt schneller, und ich starte die ersten Vorstöße, möchte aber auch nicht ins offene Messer laufen. Bam! Den ersten Kopftreffer muss ich schlucken.

Ich suche mein Glück weiter in der Offensive, achte aber dennoch vermehrt auf meine Deckung. Mit der linken Führhand taste ich mich nach vorne und setze zur rechten Geraden an. Luftloch! Und was für eins. Wie soll ich nur annähernd in die Nähe seines Kopfes kommen? Egal, zurück in die Deckung! Natürlich packt mein Gegner nicht seinen richtigen Haken aus, ansonsten wäre der Kampf wohl nach zwei Sekunden mit einem krachenden K.o. und einem Krankenhausbesuch zu Ende gegangen. Aber immer wieder fliegen mir Fäuste entgegen, meine Deckung hat – im wahrsten Sinne des Wortes – alle Hände voll zu tun. Zwischendurch schiele ich zur Uhr. Die Hälfte ist geschafft, aber einen Treffer konnte ich noch nicht landen. Zeit aufzudrehen. Mein Gegenüber lockt mich, und ich lande meinen ersten Treffer. Da geht noch mehr! Trotz schwindender Kräfte hole ich nochmal alles aus mir raus, probiere es mit einer Schlagkombination: Links, rechts, Volltreffer! Der hat gesessen. Aber die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Meine Arme sind zu schwach, um die Deckung oben zu halten. Ich werde in die Ecke gedrängt und spüre sekündlich Einschläge auf meinen Kopf. Ich versuche mich aus der Ecke zu befreien und werde schließlich vom Gong erlöst. Geschafft!

Nach langen drei Minuten muss ich erst mal nach Luft schnappen und stütze mich am Ring ab. Die Freude ist dennoch riesig. Auch wenn ich nur einen echten Volltreffer landen konnte, bin ich stolz, den Kampf gegen die Uhr und meinen Gegner überstanden zu haben. Mein Respekt­ vor Boxern ist deutlich gestie­gen, und das nicht nur, weil sie teil­weise üble Schläge hinnehmen müssen. ­Alleine über zwölf Runden im Ring zu stehen verdient jede Menge Anerkennung, denn drei Minuten können sehr, sehr lang sein!