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Köln.Sport

Kölsche Weltmeister

Als Underdog reiste die deutsche Kleinfeld-Nationalmannschaft nach Lissabon, um am Ende allen Favoriten ein Bein zu stellen. Entscheidenden Anteil am WM-Sieg haben auch vier Kicker aus der Domstadt.
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Weltmeister! Beim Jubel unterscheiden sich die Kleinfeld-Fußballer nicht von den Großfeld-Kickern! (Foto: Lukas Mengele)

Lissabon, 29. September 2018. 35 Minuten sind gespielt, da schnappt sich Niklas Kühle den Ball in der eigenen Hälfte. Er nimmt Tempo auf. Der erste Pole stellt sich in den Weg. Beinschuss – das sah elegant aus! Unaufhaltbar rauscht Kühle weiter Richtung Tor – und lässt auch den nächsten Gegenspieler wie eine Trainingsstange aussehen. Schussantäuschung, Beinschuss Nummer zwei, Außenrist, drin die Kirsche! 1:0 für Deutschland. WM-Sieg im Kleinfeld!

Was Götze 2014 in Brasilien gegen Argentinien auf dem Großfeld gelang, schafft Kühle gute vier Jahre später in Portugal: Er schießt die deutsche Nationalmannschaft im Finale gegen Polen zum WM-Titel. Besonders populär ist er deswegen nicht, denn für Kleinfeld-Fußball interessieren sich dann doch nicht ganz so viele Menschen wie für dessen großen Bruder. Den zwölf Gefährten um Niklas Kühle, die in Lissabon die deutschen Farben vertraten, ist das egal. Sie wissen, wie hoch ihr Erfolg in der Kleinfeld-Fußballwelt einzuordnen ist.

Erstes Scouting in Köln

Denn vor dem Turnier zählte kaum einer die deutsche Auswahl zu den Favoriten. „Wir waren Außenseiter. Im Kleinfeld-Fußball besitzen die Osteuropäer eine Vorreiterstellung. Russland, Kroatien oder Polen galten deshalb als Favoriten“, erzählt Dominic Reinold. Er ist einer von insgesamt vier Nationalspielern, die aus Köln stammen, und hatte als bester Scorer des Turniers maßgeblichen Anteil am Erfolg.

In der Domstadt nimmt das portugiesische Sommermärchen auch seinen Anfang. Der Verband will sein Team mit Blick auf das große Turnier neu aufstellen und veranstaltet zwei große Spieler-Scoutings in Köln und Braunschweig. Über 150 Kicker spielen vor, am Ende bleiben zwölf übrig. Sie reisen nach drei Lehrgängen sowie einer Handvoll Freundschaftsspielen im September mit einem großen Team nach Lissabon. Denn bei der Randsportart geht es professioneller zu, als man denken mag.

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Auf den 45 x 25 Metern kommt es zu viel mehr Zweikämpfen als auf dem Großfeld (Foto: Lukas Mengele)

Zwei Teammanager, ein Physiotherapeut, ein Fotograf und sogar ein eigener Koch treten die Reise in die portugiesische Hauptstadt an, der Deutsche Kleinfeld-Fußball Verband (DKFV) überlässt nichts dem Zufall! 2 x 20 Minuten auf einem 45 x 25 Meter großen Spielfeld – das sind die Rahmenbedingungen beim „Socca World Cup Lisbon 2018“, so die offizielle Bezeichnung des Turniers.

Zu Beginn allerdings läuft es nicht rund beim deutschen Team. Dem erwartungsgemäß deutlichen Sieg gegen Indien (9:0) folgt eine verdiente Niederlage gegen Kroatien. Die Ausgangslage vor dem letzten Gruppenspiel ist eindeutig: Gegen Angola muss ein Sieg mit mindestens zwei Toren Vorsprung her. „In den ersten beiden Spielen waren wir irgendwie verkrampf und nervös“, berichtet Reinold, der in Köln als Individualtrainer seine Brötchen verdient. Trainer und Mannschaftsrat setzen sich deswegen zusammen. Das Ergebnis: Statt Taktikbesprechungen oder Gegneranalyse wird dem gesamten DKFV-Team am spielfreien Tag vor dem letzten Gruppenspiel ein Strandtag verordnet.

Verkrampfung gelöst

Eine Maßnahme, die Früchte trägt. „Das war genau das Richtige. Wir haben Angola dann am nächsten Tag richtig rasiert“, schmunzelt Reinold. Sein Team spielt sich fortan in einen Rausch, gewinnt gegen Slowenien im Achtelfinale trotz dreimaligem Rückstand am Ende mit 4:3. Siegtorschütze: Jerome Assauer. Der 30-Jährige bildet mit Dominic Reinold, Tigin Yaglioglu (VfL Rheinbach) und Jörg Wagner (ehemals SC Brühl) den Kölner Block in der Nationalmannschaft. Assauer schnürte in der Jugend bereits für den 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach die Fußballschuhe und war später Profi beim SC Paderborn.

Sein Werdegang ist repräsentativ für viele Kicker bei der Kleinfeld-Weltmeisterschaft. Aktive Großfeld-Profis sind nicht zugelassen, ehemalige Erst- und Zweitligaspieler finden sich aber in den Aufgeboten vieler Nationalmannschaften, die in Portugal dabei sind. „Auf dem Kleinfeld geht es die ganze Zeit hin und her, dauernd passiert etwas. Für die Spieler ist die Belastung höher, weil man ständig in Aktion ist und sich viel schneller bewegen muss“, erklärt Niklas Kühle im Interview mit „fussball.de“, worauf es beim Sechs-gegen-sechs ankommt.

Neben erstklassiger Fitness sind vor allem eine herausragende Technik sowie Handlungsschnelligkeit vonnöten. „Es ist immer ein Gegner in der Nähe, deshalb gibt es deutlich mehr Zweikämpfe auf dem Kleinfeld“, sagt der Kölner Reinold. „Es wird viel um den Ball gekämpft, gezogen. Die Schiedsrichter lassen viel laufen, deswegen ist es eine Grundvoraussetzung, dass man körperlich dagegenhalten kann“, fügt der 1,91-Meter-Hühne hinzu.

„Wir schlagen jeden“

„Wir wollen die Gruppenphase überstehen, und dann ist alles möglich“, hatte Verbandspräsident Christoph Köchy vor dem Turnier betont. Spätestens nach dem Sieg im Viertelfinale über die USA im Penalty-Schießen spürt das deutsche Team, dass mit dieser Mannschaft in Lissabon tatsächlich alles möglich ist. „Da wussten wir: Uns kann nichts mehr passieren, wir schlagen jeden. Die Stimmung war riesig, wir hatten Selbstvertrauen ohne Ende und haben uns unbesiegbar gefühlt“, beschreibt Dominic Reinold die interne Stimmung.

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Nach einem gewonnenen ­Penalty-Schießen müssen die Emotionen vor der historischen Kulisse Lissabons raus (Foto: Lukas Mengele)

Dramatisch geht es auch im Halbfinale gegen die hochfavorisierten Russen zu. Erneut fällt die Entscheidung erst im Penalty-Schießen, in dem Schwarz-Rot-Gold am Ende wieder knapp die Nase vorne hat. So kommt es im Finale zum Duell gegen Polen, in das die DKFV-Auswahl einmal mehr als Außenseiter geht. Geleitet wird die Partie vor 3.500 Zuschauern von niemand Geringerem als dem ehemaligen Weltklasse-Schiedsrichter Mark Clattenburg.

Vor zwei Jahren hatte der englische Referee noch das Champions-League-Finale zwischen Real und Atlético Madrid gepfiffen. Zwar steht heute weder Cristiano Ronaldo noch Antoine Griezmann auf dem Platz, ein Traumtor bekommt Clattenburg allerdings trotzdem zu sehen. Der Treffer von Oberliga-Kicker Niklas Kühne (MTV Wolfenbüttel), der später zum wertvollsten Spieler des Turniers gekürt wird, reicht tatsächlich zur Sensation. Nachdem Mark Clattenburg zum letzten Mal bei der ersten offiziellen Weltmeisterschaft der International Socca Federation (ISF) in seine Pfeife gepustet hat, gibt es kein Halten mehr.

Überwältigt liegen sich die deutschen Kicker in den Armen und lassen anschließend die Sektkorken knallen. Eine besondere Prämie bekommen die zwölf Nationalspieler für den WM-Sieg nicht, doch das spielt für sie keine Rolle. „Der Verband trägt sämtliche Kosten, aber wir verdienen als Nationalspieler nichts. Das ist aus meiner Sicht okay, denn es sollte Ehre genug sein, für sein Land auflaufen zu dürfen. Natürlich müssen wir uns für so ein Turnier Urlaub nehmen, aber wir hatten ja auch eine verdammt geile Zeit“, spricht Reinold stellvertretend für sein Team. Geld ist halt nicht alles. Die Ehre jedenfalls, sich Fußballweltmeister nennen zu dürfen, kann den vier Kölnern Jerome Assauer, Tigin Yaglioglu, Jörg Wagner und Dominic Reinold niemand mehr nehmen.