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Köln.Sport

Kleine Schubser

Wer glaubt, dass ein E-Gravel-Bike viel gemeinsam hat mit einem herkömmlichen E-Bike, sollte es einfach mal ausprobieren. Unser Autor hat es getan. Ein Erfahrungsbericht.

Foto: HARDT Photography

Eins vorweg: Ich bin Hobby-Radfahrer. Ich fahre Rennrad auf der Straße oder Trekking Bike auf Feld- oder Waldwegen. Von Technik habe ich keine Ahnung. Ich bin viermal die Cyclassics, das Hamburger Jedermann-Radrennen, bei dem auch die Profis starten, mitgefahren. Ansonsten schrubbe ich meine Runden – selten alleine, meist mit Gleichgesinnten – zwischen 30 und 90 Kilometer im Kreis Stormarn östlich von Hamburg oder im Lipperland. Wichtig: Ich will pedalieren, abschalten, mich auspowern und nach der Runde ein oder zwei Weizen trinken, gerne auch mal mit Alkohol.

Ende April kam der Anruf von einem Mitarbeiter des Fahrradherstellers Derby Cycle: „Ich hätte da ein Rad für dich, das könnte passen – ein E-Gravel-Bike.“ Ich hatte ihm davon erzählt, dass wir auch mal Waldwege fahren. Insofern passte das mit dem Gravel-Bike. Gravel ist Englisch und heißt auf Deutsch Kies, Schotter oder Geröll. Was mich störte, war das „E“. Hey, ich will Sport treiben! Wie oft sitze ich im Sattel und mich motiviert Udo Bölts legendäre Tour de France-Tirade Richtung Jan Ullrich, die ich mir zuflüstere? „Quäl dich, du Sau.“ Und überhaupt: Was werden die Freunde sagen, wenn ich plötzlich mit Motor unterwegs bin?

„E“ mag in Zeiten von Greta Thunberg total angesagt sein. Klingt nachhaltig und hipp. Aber ich fahre Fahrad. Umweltschonender geht es nicht. „Probiere es doch mal“, sagt der PR-Mann, selbst ein Rad-Freak.

Der Clou ist der Antrieb

Anfang Mai bekomme ich das Rad geliefert. Die Technik ist auch für einen Laien begeisternd. Alles vom Feinsten: die schwarzen Laufräder, der Sattel mit dem zweigeteilten Rohr, die elektronische Schaltung, der Carbon-Rahmen. Der Clou ist der Antrieb. Am Unterrohr sitzt die Einheit aus Akku und Motor: rund 40 Zentimeter lang, knapp 3,2 Kilogramm schwer, eine Art Riesensalami. Das Tretlagergetriebe, ganz unten im Rahmen, in das es eingeklickt wird, sorgt für die direkte Kraftübertragung auf die Kette. Will man den Akku aufladen, nimmt man die Riesenstange raus, in dem man das Rad querstellt und den nicht zu übersehenden Knopf am Rahmen drückt. Der Akku plumpst einem dann entgegen. Ihn wieder einzuführen, nervt schon mal, weil er meist nicht sofort passt.

„Dieses Rad ist gedopt – mit E-Motor“, schlagzeilte Spiegel Online. Das „Doping“ funktioniert so: Bis 25 km/h unterstützt der Motor. Am Lenker kann man drei Stufen einstellen. Blau bringt leichte Hilfe, grün etwas mehr, violett ist die maximale Power. In Wattzahlen ausgedrückt: 125, 250 und 400. Die verbleibende Akku-Laufzeit wird per LED-Balken angezeigt. Selbst wenn man die Hilfe üppig einsetzt, reicht es locker für 100 Kilometer.

Bleibt noch die Frage: Wieso brauche ich überhaupt Unterstützung bis 25 Kilometer pro Stunde? Mit dem Rennrad bin ich doch sowieso schneller unterwegs. Die Antwort gebe ich mir selbst im Feldversuch. Zwischen Anfang Mai und Ende September düse ich mit dem Focus Paralane 9.8 DI2, so der exakte Name, meine Runden. Ich strampele wie gewohnt. Für meine Kumpels ist auch alles wie immer. Den Motor schalte ich nur gelegentlich zu. Am Berg. Um Körner zu sparen, wie es so schön heißt. Oder an Ampeln. Wunderbar leicht kann man dann starten, rast ruckzuck mit 30 Sachen plus durch die Landschaft. Es fühlt sich an, als würde eine Geisterhand mich sanft nach vorne schieben – kleine Schubser. Und noch ein Highlight: der Sound der Zahnräder im Leerlauf – irre laut. „Damit verschreckst du jeden, der vor dir fährt“, kommentiert mein Freund Thorsten anerkennend.

Alles andere als ein „normales“ E-Bike

Unsportlich im Sinne von unfair gegenüber den Kameraden? Finde ich nicht. Ja, ich vermeide manchmal Spitzenleistungen, ganz bewusst, in dem ich den Akku einschalte. Aber ich hänge nicht in den Seilen und komme am nächsten Tag nur per Kran aus dem Bett. Konzipiert ist das Rad auch nicht für einen 25-jährigen Sportstudenten, sondern für Leute wie mich – fitnessorientiert, um die 50 Jahre alt und häufiger im Büro, als einem lieb ist. Damit kein falscher Eindruck aufkommt: Mit einem normalen E-Bike hat dieses Rad nicht viel zu tun. Man muss richtig arbeiten. Die Unterstützung ist subtil. Und: Das E-Gravel-Bike sieht sportlich aus.

Ach ja: Es funktioniert auch ohne Akku. Die Cyclassics wollte ich mir auch in diesem Jahr nicht entgehen lassen. Aber ich hatte keine Lust, mich auf ein neues Rad einzustellen. Das Gute: Beim Focus Paralane kann man einfach den Motor rausnehmen, spart die rund vier Kilogramm Gewicht. Nur ist dann an der Stelle nichts. Kleine Steine, die beim Fahren hochgeschleudert werden, würden die feine Technik ruinieren. Die Lösung: eine Schutzabdeckung, die genauso aussieht wie das Antriebssystem. Stellvertretend für den Akku lässt man die Attrappe, leicht wie ein laues Lüftchen, in dem vorgesehenen Spalt einrasten – fertig.

Also die Cyclassics, am 25. August. Am Abend vorher bin ich aus dem Urlaub gekommen. Ich bin nicht ganz fit, fahre ein defensives Rennen. Aber hinten raus läuft das Rad famos. Am Ende absolviere ich die 100 Kilometer mit einem 32er-Schnitt. Für mich ein ordentliches Ergebnis. Nur einmal werde ich unterwegs angesprochen: Du fährst ja mit Motor. Ne, antworte ich, der Akku ist draußen. Auf die kleinen Schubser muss ich diesmal verzichten.

Gastbeitrag von Andrej Antic

Andrej Antic ist Chefredakteur des Tennis Magazin, Diplom-Sportwissenschaftler und Absolvent der Axel Springer Journalistenschule. Aktiv beim Laufen, Radfahren – und natürlich Tennis.  (Foto: HARDT Photography)

Infos

Focus Paralane 9.8 DI2

• Komfortabler Carbon-Rahmen (1450 g)

• Integrierter Fazua Evation-Antrieb

• Elektronisch präzise Shimano Ultegra Di2-Schaltung

• Scheibenbremsen

• Leichter und robuster DT Swiss Aluminium-Laufradsatz mit Road-Boost-Standard, 28 mm

• Gewicht: ca. 13 Kilogramm inkl. Akku/Motor (ca. 3,2 kg)

• Preis: ab 6999 Euro

• Mehr Infos: www.derby-cycle.com