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Köln.Sport

In der Pflicht

Für viele Fans ist Timo Horn auch nach dem Abstieg das Gesicht des 1. FC Köln. Das liegt an seinen wöchentlich starken Leistungen zwischen den Pfosten – und daran, dass er auch abseits des grünen Rasens zum Führungsspieler gereift ist.
Timo Horn

Timo Horn ist als Nummer Eins im Kölner Tor nicht mehr wegzudenken (Foto: imago/Laci Perenyi)

Als am 28. April dieses Jahres um etwa 17.20 Uhr das Auswärtsspiel des 1. FC Köln beim SC Freiburg abgepfiffen wird und damit der Abstieg aus der ersten Bundesliga endgültig besiegelt ist, findet man Timo Horn dort, wo er in dieser Spielzeit nach fast jedem Spiel zu finden ist – am Mikrofon des übertragenden TV-Senders Sky.

Wie es denn jetzt wohl in ihm aussehe, möchte die Journalistin wissen. Horn atmet tief ein. „Vollkommene Leere natürlich“, sagt er, als die ersten seiner Teamkollegen schon in Richtung Gästeblock wanken, um von den Fans daran erinnert zu werden, dass man „in unserem Veedel zesamme hält“. Das weiß auch Horn, selbst in dieser bitteren Stunde. „Der Wille war nie ganz gebrochen, wir haben bis zum Schluss alles versucht, aber insgesamt einfach viel zu viele Fehler gemacht. Unter dem Strich steht der sechste Abstieg.“

Natürlich, irgendjemand aus der Mannschaft muss nach jeder Partie zum Interview und Rede und Antwort stehen. Dass es jedoch in der verkorksten Spielzeit 2017/18 mehr Bilder von einem niedergeschlagenen Timo Horn vor den Fernsehkameras zu sehen gab als Punkte für den 1. FC Köln, zeigt: Der in Köln geborene Torhüter versteckt sich auch in den ganz schweren Zeiten nicht, seine Interviews mit Tränen in den Augen haben wohl ganz Deutschland ein Stück weit berührt – und Horn sozusagen zum Gesicht der Mannschaft für die Öffentlichkeit gemacht.

Aus dem schon immer mit herausragendem Talent gesegneten Rondorfer ist ein waschechter Führungsspieler geworden. Und solche sind für das Unternehmen „direkter Wiederaufstieg“ von unschätzbarem Wert.

„Muss viel zusammenkommen“

Es ist Länderspielpause, der FC steht auf Tabellenplatz eins. „Ich habe immer versucht, mich zu stellen, so schwer das nach manchen Spielen war“, sagt Timo Horn, als er nach einer mittäglichen Trainingseinheit am Geißbockheim noch einmal aus der Kabine kommt. „Ich sehe uns in der Pflicht, den Fans und den Leuten im Umfeld in so einer Situation Rede und Antwort zu stehen. Das haben sie verdient, wenn sie ins Stadion kommen und uns immer wieder unterstützen. Von daher finde ich es sehr wichtig, dass man in den Interviews authentisch ist und versucht, es möglichst so darzustellen, wie es wirklich ist.“ Die Stimmung ist nicht mehr mit der aus der vergangenen Spielzeit vergleichbar, auch wenn sich das Team laut Horn im Vorjahr „niemals zerfleischt“ habe.

Seit 16 Jahren hütet Horn beim 1. FC Köln das Tor, erst in verschiedenen Jugendauswahlen, dann als Ersatztorhüter bei den Profis, seit dem Abstieg 2012 – mit der schwarzen Rauchwolke über Müngersdorf – als klare und unangefochtene Nummer eins. Und so beeindruckend seine Leistungen zwischen den Pfosten sind, seine Entwicklung abseits des Platzes ist nicht weniger bemerkenswert.

Denn wo andere nach dem Abstieg, ohne dass man es ihnen verübeln könnte, den Sprung vom sinkenden Schiff in Richtung Erstliga-Verbleib wagten, hat sich Horn, einer der drei wohl wertvollsten FC-Profis im gesamten Kader, bekanntermaßen ziemlich schnell für einen Verbleib entschieden. Er wolle mithelfen gerade zu biegen, was im Vorjahr schief gelaufen ist, sagte er als Begründung, dazu ein Satz, der bei FC-Fans wohl immer noch Gänsehaut auslöst: „Es müsste schon sehr viel zusammenkommen, damit ich diesen Club verlasse“.

Denn wenn einer weiß, wie sehr die Menschen in der Stadt am 1. FC Köln hängen, ist es der Kölsche Torhüter, der das Auf und Ab der letzten 20 Jahre auch als Fan auf der Tribüne erlebt hat. Das rechnen ihm die Fans hoch an, er wird nach Paraden regelmäßig mit Sprechchören gefeiert, wirkt nahbar, man nimmt ihm seine Vereinsliebe in jeder Sekunde ab. Für viele FC-Fans ist er noch immer „einer von uns“, ein Gegenentwurf zur verbreiteten Meinung, Fußballer würden nur dem nächsten, großen Gehaltsscheck hinterherjagen.

Fast logisch also, dass er auf die Frage, ob er die Europapokal- sowie die Abstiegssaison gegen zwei Spielzeiten im gesicherten Bundesliga-Mittelfeld eintauschen würde, schon beinahe wie ein Fan beantwortet. „Für den Verein wäre das allein wirtschaftlich gesehen viel besser gewesen, das ist klar. Andererseits darf man nicht rückblickend die Erfolge schmälern, die wir in den letzten Jahren erzielt haben. Wir haben uns nach dem Aufstieg wirklich Jahr für Jahr verbessert und nach 25 Jahren wieder den Europapokal erreicht. Das war absolut außergewöhnlich, diese Erfahrung möchte ich trotz der letzten Saison nicht missen. Diese Emotionen werden wir nie vergessen, genauso wenig wie die negative Saison letztes Jahr. Das sind alles Dinge, die einen prägen – positiv wie negativ.“

Diese sichtbare Verbundenheit zwischen Horn und dem Club gibt ihm natürlich auch innerhalb der Mannschaft ein hohes Ansehen. Er weiß wahrscheinlich besser als jeder andere, wie die Uhren am Geißbockheim ticken, würde dies aber offen wohl so niemals sagen. Auf die Frage, wie er Neuzugängen als Club-„Urgestein“ bei der Integration helfe, sagt er sofort: „Das mache nicht nur ich, die anderen Jungs sind da genauso. Es geht immer schnell, dass sich auch neben dem Platz Freundschaften ergeben, wenn neue Jungs dazukommen. Das hat in den letzten Jahren immer wunderbar funktioniert. Anfangs nimmt man die Jungs ein bisschen an die Hand, aber Köln ist so eine weltoffene Stadt, genau wie unsere Truppe. Da geht das eigentlich immer einfach.“

Traum geht in Erfüllung

Diese Zurückhaltung passt zu ihm. Ebenfalls einen großen Beitrag zur gelungenen Integration dürfte natürlich auch Jonas Hector leisten, er ist Nationalspieler und Mannschaftskapitän – nach außen hin jedoch eher ein Spieler der ruhigeren Sorte. Wenn man an das Gesicht der Mannschaft denkt, ist es tatsächlich dann doch eher Timo Horn, der einem als erstes in den Sinn kommt. Das geht zum einen mit seiner Qualität, zum anderen aber natürlich auch mit seinem Auftreten einher. Er wirkt nie unfair oder verbissen, ist jemand, dem man bei seinen Ausführungen gerne zuhört – und dem man folgen kann.

In der Mannschaft hat Timo Horn ein hohen Stellenwert, gehört zum Mannschaftsrat, sein Wort hat trotz seines noch jungen Alters von 25 Jahren unglaubliches Gewicht. Gerade, wo ein langjähriger Führungsspieler wie Matthias Lehmann – trotz aller Beteuerungen seines Trainers, man brauche jeden Spieler – gefühlt auf dem absteigenden Ast ist, Marco Höger lange verletzt war und Horns bester Freund Dominic Maroh nicht mehr dem Club angehört. Es braucht also neue Führungsspieler und Identifikationsfiguren, die den 1. FC Köln auch in der Zukunft prägen – jemanden wie Timo Horn, der diese Rolle seit mindestens der vergangenen Saison ohnehin schon ausfüllt.

Was ist das eigentlich für ein Gefühl, wenn jemand, der sein Leben lang den FC als Fan verfolgt hat, nun ein wichtiger Teil des Club-Gefüges ist? „Das ist natürlich etwas, was ich mir immer gewünscht habe, auch schon als kleines Kind. Da habe ich selbst hier am Platz gestanden und mir das Training angeschaut, da hat man sich immer vorgestellt, wie es denn ist, wenn man das selbst mal erreichen würde. Anfangs war das ein Traum, später hat sich das zu einem Ziel entwickelt, das ich erreichen konnte. Trotzdem versucht man immer wieder, sich neue Ziele zu setzen, weiter zu wachsen – als Persönlichkeit und auf dem Platz.“

Sein Standing hat sich Horn in den vergangenen Monaten mehr als verdient, auf und neben dem Platz. Weil er sich auch in schwierigen Situationen stellt, statt sich zu verkriechen. Weil er den FC kennt und lebt wie kein Zweiter, er eine Kurven-Vergangenheit hat. Weil er bei Bedarf Neuzugängen zeigt, was in Köln und am Geißbockheim auf sie wartet. Und weil er am Ende des Tages einfach ein verdammt guter Torhüter ist.

„Dieser Weg, den wir schon seit Jahren gehen, ist noch lange nicht zu Ende“, sagt Horn. Er selbst wird diesen Weg weiterhin mitbeschreiten – mehr als das. Er wird vorweg gehen. Weil aus dem kleinen Torwart aus Rondorf, der den Traum hatte, für den FC zu spielen, mittlerweile ein echter Führungsspieler geworden ist. Und sich jeder Fan sofort mit ihm identifizieren kann. Ein Traum, der für die Nummer eins im Kölner Tor in Erfüllung gegangen ist.