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Köln.Sport

Fortunas Arbeiterklasse

Ein destruktives Team wie in früheren Jahren ist Fortuna Köln schon lange nicht mehr. Doch Spieler, die der starken Offensive den Rücken frei halten, werden weiter gebraucht. Nico Brandenburger und Dominik Ernst setzen in dieser Hinsicht ligaweit Maßstäbe.
Brandenburger

Nico Brandenburger (l.) und Dominik Ernst gehören zum Stammpersonal
bei Drittligist
Fortuna Köln (Foto: Andreas Kerschgens)

Ein Septembernachmittag am Südstadion. Nach Tagen der Tristesse zeigt sich der Spät-Spätsommer heute noch einmal von seiner besten Seite. 23 Grad in der Sonne, ein leichter Wind, der über den perfekt getrimmten Rasen an der Heimspielstätte von Fußball-Drittligist Fortuna Köln weht. Ein wolkenloser Himmel und angenehme Luft diesseits der unerträglich heißen Sommertemperaturen, die in Köln 2018 wochenlang angesagt waren.

Es wirkt fast so, als habe sich die Südstadt extra herausgeputzt für das Treffen von Köln.Sport mit den Fortuna-Profis Nico Brandenburger und Dominik Ernst. Es ist eine Kulisse, eine Atmosphäre, die auf den ersten Blick nicht so richtig passen will zu dem Gesprächsthema, das heute auf die beiden Leistungsträger der Mannschaft von Trainer Uwe Koschinat zukommt. Doch dazu später mehr.

Zunächst einmal lädt Köln.Sport zum „Einzelverhör“, die beiden Blondschöpfe müssen die ersten Fragen getrennt voneinander beantworten. Probieren wir doch mal aus, ob Fortuna wirklich auf schlaue Spieler setzt, wie es im Umfeld gerne heißt. Wenn das so ist, fällt es Ernst und Brandenburger sicher leicht, den Hintergrund des Doppel-Interviews zu erraten. Und tatsächlich: „Wir beide stehen für ehrlichen Fußball. Einsatz. Mentalität. Wir geben beide immer alles“, sagt Ernst, als wir ihn fragen, warum wir ausgerechnet ihn und seinen 23-jährigen Teamkollegen sprechen wollten.

Also: Test bestanden. Versuch Nummer zwei. Doch auch Brandenburger überlegt nicht lange. „Dominik und ich haben ja einen ähnlichen Werdegang hinter uns, sind beide aus der Regionalliga zu Fortuna in den Profibereich gekommen.“ Ja, stimmt auch, aber es geht noch weiter. „Wir ackern auf dem Platz, wir laufen viel, wir machen alles für den Erfolg der Mannschaft.“ Bingo! Auch der Test ist abgehakt. Heute geht es nur um Fortunas Arbeiterklasse!

Das los der Kämpfer

Es ist das Los jener Fußballer, die ihre Stärken eher in den Bereichen Zweikämpfe, Laufpensum und Kampfkraft haben: Nur allzu selten werden sie in Sachen Ansehen mit den großen Offen­sivstars auf eine Stufe gestellt. Wer hätte sich für diesen Typen mit den großen Zähnen namens Ronaldinho interessiert, wenn er nicht der leichtfüßige Spielmacher und Torjäger, sondern ein Abräumer vor der Abwehr gewesen wäre? Und wäre Lionel Messi auch als Linksverteidiger fünf Mal „Weltfußballer des Jahres“ geworden? Wohl kaum.

Was das große Rampenlicht angeht, müssen die Defensivspieler oft hinter den filigranen „Zehnern“ und leichtfüßigen Stürmern zurückstehen. Nur wenige von ihnen – Gennaro Gattuso, Paolo Maldini oder Sergio Ramos etwa – werden von der breiten Öffentlichkeit in die Riege der Weltstars aufgenommen.

Bei Fortuna Köln ist das anders. Der Südstadtklub stellt gerne sein Image als ehrlicher, gradliniger Verein zur Schau, in dem vor allem harte Arbeit geschätzt wird, besonders von Coach Uwe Koschinat. Lange Zeit galten seine Teams als erfolgreich, aber eher destruktiv orientiert. Akteure wie Florian Hörnig, Markus Pazurek, Daniel Flottmann oder André Sievers hatten trotz ihrer beschränkten technischen Fähigkeiten bei Koschinat einen Stein im Brett, waren jahrelang Stammspieler. Seit Saisonbeginn 2017/18 hat sich das Team gewandelt. Nicht nur personell durch den überfälligen Umbruch, sondern auch auf sportlicher Ebene.

Die Fortuna „spielt“ jetzt Fußball und kämpft, wo sie früher erst kämpfte und dann Fußball spielte. Diese sportliche Neuausrichtung ist der sportlichen Leitung geglückt, das hat die vergangene Saison gezeigt. Das heißt jedoch nicht, dass im Sommer 2017 nur nach Technikern und Torjägern gesucht wurde. Oder dass das Spiel der Fortunen keine Arbeiter mehr bräuchte. Im Gegenteil: Zwei der wohl wichtigsten Bausteine im Gerüst der Fortuna-Mannschaft kamen im Juli 2017 ans Südstadion: Brandenburger und Ernst. Und wo in der Vorsaison Keita-Ruel, Dahmani, Kegel und Co. im Fokus standen und 2018/19 noch Kwame Yeboah, Michael Eberwein oder Moritz Hartmann dazukamen, sind die beiden Rechtsfüßer für die Basis zuständig: harte Arbeit. Und manchmal mehr.

Rückblick: Aus der Regionalliga West kommen Dominik Ernst und Nico Brandenburger nach Köln. Der eine, Ernst, ist mit 27 Jahren Spätstarter, hat noch nie im Profifußball gespielt, schafft nach drei Jahren bei Alemannia ­Aachen und der Insolvenz des Traditionsvereins nun endlich den Sprung, den er schon länger verdient gehabt hätte. Der gebürtige Gelsenkirchener ist ein moderner Rechtsverteidiger, versucht oft, schon in der gegnerischen Hälfte Ballgewinne zu generieren.

Und wer mit Ernst spricht, merkt sofort, dass er sich mit der Rolle als „Arbeiter“ voll identifiziert. „Ich habe kein Problem damit, wenn mir jemand sagt, dass ich nicht der beste Fußballer bin. Aber diese Spielweise zeichnet mich extrem aus. Ich marschiere 90 Minuten lang die Seite rauf und runter. Die Seite muss dicht sein. Zweikämpfe gewinnen. Alles raushauen bis zum Ende.“ Das Training der Fortuna ist gerade vorbei, doch man hat das Gefühl, Ernst könnte schon wieder auf den Platz.

Ahnlicher Verlauf

Wie wichtig er ist, zeigt die Statistik: 33 Spiele machte er 2017/18 in seinem ersten Profijahr. Und auch wenn offensiv nicht alles klappt, auch die Produktivität stimmte: ein Tor und fünf Vorlagen. Neun Gelbe und zwei Gelb-Rote Karten zeugen darüber hinaus von der durchaus „zupackenden“ Spielweise des 28-Jährigen. Auch 2018/19 ist Ernst trotz einer Verletzung in der Vorbereitung gesetzt. Am 10. Spieltag jedoch fehlt er im Heimspiel gegen Uerdingen – nach fünf gelben Karten in den ersten neun Spielen ist er gesperrt.

Die Story bei Brandenburger (2017/18: 35 Spiele, vier Tore, vier Assists) liest sich ähnlich: Der gebürtige Berliner wurde bei Hertha BSC und Borussia Mönchengladbach ausgebildet, doch nach vier Spielen bei den Profis und einem Jahr als Leihspieler beim FC Luzern (Schweiz) musste ein neues Kapitel her. Und erneut sollte die Fortuna vom eigenen Scouting-System profitieren, das besonders die Geschehnisse in der Regionalliga West beinahe lückenlos analysiert.

Gesucht war ein Partner für Spielmacher Maik Kegel vor der Abwehr. Das Anforderungsprofil: jung, laufstark, gut im Zweikampf, entwicklungsfähig. Erste Wahl: Nico Brandenburger. „Der Trainer hat mich im Grunde mit dem Plan nach Köln geholt, genau diese Stärken einzubringen“, erklärt Brandenburger. Fazit nach mehr als einem Jahr: Aus ihm und Nebenmann Maik Kegel ist ein Vorzeigepärchen der 3. Liga geworden. „Maik und ich ergänzen uns mit unseren Stärken perfekt. Ich bin eher für das Laufen und die Arbeit zuständig, Maik kann mit seinen Pässen und seiner Übersicht das Spiel organisieren und die Offensive glücklich machen“, sagt der 23-Jährige.

Weiter hohe Ziele

Doch nicht nur der Verein hat mit den beiden Leistungsträgern das bekommen, was er wollte, auch Brandenburger und Ernst sind sich der Sinnhaftigkeit der Klub/Spieler-Symbiose durchaus bewusst. „Ich glaube, dass ich sehr gut zu diesem Verein passe, weil diese Art des Fußballs hier mehr gefordert wird als zum Beispiel in Karlsruhe, Uerdingen oder Kaiserslautern, wo mehr auf spielerische Elemente gesetzt wird. Ich sage nicht, dass ich nicht Fußball spielen kann. Aber mit meiner Art passe ich gut zur Fortuna“, sagt Ernst. Von Brandenburger kommen ähnliche Töne. Nach der vergangenen Saison auch kein Wunder, immerhin spielte das Team lange um den Zweitliga-Aufstieg mit, bevor ihm im Saisonfinale die Luft ausging.

Doch das ist nun Geschichte, nur die aktuelle Spielzeit zählt. Und dort, das merkt man im Gespräch mit beiden Spielern, hat die Fortuna wieder Großes vor. Tabellenplatz neun, den die Fortuna zum Zeitpunkt des Interviews innehat, mag innerhalb des Vereins bei vielen Beteiligten vielleicht für Zufriedenheit sorgen, die Spieler wollen mehr. „Von der Punkteausbeute haben wir zu wenig für das bekommen, was wir auf dem Platz leisten“, sagt Ernst. „Wir könnten deutlich mehr Punkte haben und unter den Top 3 bis 4 stehen. Im Mittelfeld rumdümpeln ist nicht unser Anspruch.“ So, wie die beiden Fußball spielen, reden sie auch. Geradeaus, keine Kompromisse, klare Ansagen.

Denn sie wären keine echten Fußballer, würde nicht hinter der harten Arbeit auch der Glaube an eine Belohnung stehen: „Wenn wir alle zusammen irgendwann aufsteigen, das wäre ein Traum! Welcher Spieler möchte nicht in der 2. Bundesliga spielen?“, so Ernst. Denn auch dort werden sie gesucht: die schlauen Fußballer, die wertvoll für die Mannschaft sind, ohne dabei immer im Mittelpunkt zu stehen.