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Köln.Sport

DHB-Team: Wintermärchen2.0?

Vor zwölf Jahren wurde Deutschland auf Kölner Boden Weltmeister – das „Wintermärchen“ ist einer der großen deutschen Sport-Momente des neuen Jahrhunderts. Ab dem 19. Januar ist die WM zurück in Köln (hier gibt es Tickets), doch ist für das junge deutsche Team eine Wiederholung realistisch?
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Uwe Gensheimer ist individuell ein Star, mit dem Nationalteam war er noch nicht erfolgreich (2016 nicht dabei). (Foto: imago/DeFodi)

Es war ein Jubel mit langem Anlauf, den die 19.000 Zuschauer am 4. Februar 2007 in der Kölner LANXESS arena (damals Kölnarena) zelebrieren durften. Schon Minuten vor dem Ende des Handball-WM-Endspiels zwischen Deutschland und Polen war klar, dass die DHB-Auswahl das Feld als Sieger verlassen würde. Das Endergebnis von 29:24 war nicht mehr als eine statistische Randnotiz, die in einem schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer ver-loren ging. Nach 1938 und 1978 war Deutschland zum dritten Mal Handball-Weltmeister – und das im eigenen Land. Das Finale, ja die Krönung des „Wintermärchens“, benannt nach dem „Sommermärchen“ der Fußball-WM wenige Monate zuvor in Deutschland, ist bis heute einer der größten Sport-Momente, der sich in der Kölner Arena jemals zugetragen hat. Dicht gefolgt, wenn nicht sogar überboten, vom Halbfinal-Krimi gegen Frankreich drei Tage zuvor, bei dem DHB-Torwart Henning Fritz zwei Sekunden vor dem Ende der zweiten Verlängerung den letzten Wurf von Frankreich-Star Daniel Narcisse entschärfte und den 32:31-Erfolg des deutschen Teams sicherte. Cheftrainer Heiner Brand und das damalige Team um Florian Kehrmann, Oliver Roggisch, Johannes Bitter oder Pascal Hens sind Legenden des Sports in Deutschland.

Nun, zwölf Jahre nach dem Titel, ist die Handball-Weltmeisterschaft wieder in Deutschland zu Gast, unter anderem in Köln. Und fast automatisch stellt sich damit die Frage: Ist das heutige deutsche Team in der Lage, an die goldenen Zeiten anzuknüpfen? Gerade als Gastgeber – Deutschland richtet die WM -gemeinsam mit Dänemark aus – sind die Ansprüche besonders hoch. Das weiß auch Heiner Brand, der mit der Erwartungshaltung in Deutschland eigene Erfahrungen -gemacht hat. „Ich war vor dem Eröffnungsspiel gegen Brasilien nervöser als später vor dem Endspiel -gegen Polen. Das erste Spiel war eine reine Gurkerei. Insofern kann der Druck zu Beginn eines -Turniers schon ein gewisses Problem darstellen“, so der heute 66-Jährige, der für den Austragungsort Köln als Botschafter fungiert. Dennoch traut Brand dem DHB-Team – von den Fans getragen – durchaus eine gute Rolle zu. „Eine Heim-WM ist ein Vorteil, und die Chance ist groß, vorne dabei zu sein.“

Für „Hurra“ und „Oh je“ der deutschen Handball-Nationalmannschaft ist seit 2017 Christian Prokop zuständig. Allerdings hatte und hat der 40-Jährige, der 2007 bei Finale und Halbfinale in Köln auf der Tribüne saß, gleich in mehrfacher Hinsicht eine unangenehme Aufgabe zu lösen. Als sei der Schatten von Brand nicht schon groß genug, folgte Prokop auch noch auf -Dagur -Sigurdsson, der 2016 Europameister und Olympia-Dritter geworden war. Prokop dagegen arbeitete zuvor vier Jahre bei Bundesligist SC DHfK Leipzig und wurde vom DHB für rekord-verdächtige 500.000 Euro aus seinem Vertrag gekauft – eine weitere Bürde in der öffentlichen Wahrnehmung. Auch sein Debüt auf der großen Bühne ging 2018 daneben. Als Titelverteidiger reichte es für Deutschland bei der EM in Kroatien nur zu Platz neun – eine Enttäuschung. Auch interne Querelen zwischen Spielern und -Trainer sollen für das frühe Aus-scheiden gesorgt haben.

Teamgeist als große Stärke

Dennoch: Vor dem Turnier 2019 ist Prokop durchaus zuversichtlich: „Hauptziel ist das Erreichen des Halbfinals. Das wäre ein Riesenerfolg, weil wir Mannschaften wie Kroatien, -Russland, Frankreich und Spanien hinter uns -lassen müssen. Dafür brauchen wir mentale und spielerische, aber auch charakterliche Top-Leistungen“, -erklärt der -Bundestrainer. Allerdings ist Prokops Team in Sachen individuelle Qualität nicht so stark besetzt wie die genannten Teams, ein erfolgreiches DHB-Ensemble müsste sich also über andere Qualitäten definieren. Das ist auch dem Coach klar: „Wir werden nicht weit kommen, weil einzelne Spieler Spiele entscheiden. Das A und O wird das Mannschaftsgefüge sein.“ Um diesen Punkt zu unterstreichen, wird Prokop während des Turniers auf eine feste Startformation verzichten, sondern sie eher auf die jeweilige Aufgabe anpassen. „Wenn wir uns die Spielanteile gönnen und uns auch gönnen, dass ein anderer mal anfängt, dann sind wir im Gesamtpaket sehr gut unterwegs. Schaffen wir das nicht und sind unzufrieden mit den Sachen, dann wird es keine erfolgreiche WM.“

Darüber hinaus dürfte die Kreisläufer-Position ein echtes Faustpfand werden, dort stehen mit Patrick Wiencek, Hendrik Pekeler und Jannik Kohlbacher gleich drei Akteure zur Verfügung, die das Prädikat Weltklasse verdienen. Wiencek und Pekeler waren schon 2016 zwei der wichtigsten Akteure, gelten als eines der besten Defensiv-Duos der Welt. Offensiv ist Kohlbacher der beste der drei Spieler, seine 113 Kilogramm sind mit Ball in der Hand am Kreis schlichtweg nicht in den Griff zu bekommen.

Auch die Linksaußen in schwarz-rot-gold dürfen als Hoffnungsträger genannt werden: Kapitän Uwe Gensheimer gehört seit Jahren zu den besten Spielern der Welt auf dieser Position, wurde zuletzt zwei Mal in Folge Torschützenkönig der Champions League. Auch sein „Ersatz“ Matthias Musche ist in Top-Form, steht mit 162 Toren in 19 Partien (8,5 Tore pro Spiel) auf Platz eins der Torjägerliste der Bundesliga.

Wer führt das Team an?

Als größter Schwachpunkt könnte sich die Position „Rückraum links“ erweisen, auf der traditionell die besten rechtshändigen Schützen zu Hause sind. Dort fehlt Prokop mit dem verletzten -Julius Kühn (Kreuzbandriss) allerdings die -gefährlichste Waffe. Die Frage, wie z. B. Steffen Fäth oder Fabian Böhm diesen Ausfall kompensieren können, wird entscheidend dafür sein, wie sich das deutsche Team beim Heim-Turnier verkaufen kann. Und: Auch von einem kleinen -Hierarchie-Problem kann sich Deutschland nicht ganz freisprechen – Anführer wie Kehrmann, Schwarzer, Baur oder Roggisch in früheren Zeiten fehlen. „Da bin ich gespannt, ob sich bei der WM -einer herausbildet. Bei der EM im vergangenen Januar habe ich keinen gesehen“, sagt Brand unmissverständlich. 

Dass auch Prokop um diese Bau-stelle weiß, haben seine Vorab-Nominierungen des Kaders gezeigt. Im Tor setzt der Coach mit Silvio Heinevetter (34) und Andreas Wolff (27) auf erfahrene Kräfte, selbst Johannes Bitter (36, schon 2007 dabei) stand als Ersatz bereit. Und weil auf „Rückraum Mitte“ ein echter Orga-nisator fehlte, griff Prokop sogar auf Martin Strobel zurück. Der 32-Jährige ist zwar langjähriger Nationalspieler, trägt aber mittlerweile das Trikot von HBW Balingen-Weilstetten – in der Zweiten Liga. „Diese Entscheidung war und ist für mich alternativlos. Er ist ein sehr erfahrener Spieler, der mit sehr viel taktischer Intelligenz ausgestattet ist. Er kann unser Angriffsspiel den verschiedenen Spielphasen anpassen. Martin geht in Stress-Situationen mit breiter Brust voran“, erklärt Prokop seine Auswahl. Zumindest auf dem Feld soll für Ordnung und Führungsstärke gesorgt sein.

In der Gruppe 1 hat es Deutschland zunächst mit Korea, Brasilien, Russland, Frankreich und Serbien zu tun, alle Spiele finden in Berlin statt. Qualifiziert sich Deutschland für die Hauptrunde, sind sie vom 19. bis 23. Januar in Köln zu Gast, wo es dann gegen die besten Teams der Gruppe B gehen würde (u. a. mit Europameister Spanien und Kroatien). Um dorthin zu kommen, ist in der Gruppe aber erst einmal ein Platz unter den ersten drei nötig. Für die Halbfinalspiele am 25. Januar ist dann Hamburg als Austragungsort vorgesehen, die Finalspiele (26. und 27. Januar) finden dann im dänischen Herning statt. Spätestens allerdings, wenn das deutsche Team Köln erreicht, ist eigentlich mit allem zu rechnen. „In Köln sind wir ja quasi unschlagbar“, lächelt Heiner Brand.